Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Raimondos Geschichten über Italien war es nur ein kleiner Sprung, ihr von seinen Reisen um die weite Welt zu erzählen, von den Gewürzen im Fernen Osten, den Farben marokkanischer Basare, der Pracht japanischer Kirschblüten, dem Duft von Lavendel in Grasse und der Magie des Nordlichts. Er beschrieb ihr die Stille in jenen Gegenden, in denen es keine Vögel gab, er malte ein Bild von der Dunkelheit Finnlands, wo die Sonne im Winter monatelang nicht aufging, und schilderte ihr die Weite der Wüste, die ihm unendlicher vorkam als das All.
Das Thema Adrian sparten sie lange aus, wenigstens bekam ich davon nichts mit. Mutter wußte um den kranken Freund, Edvard – in seiner unschätzbaren Feinfühligkeit – hatte ihr von der Krankheit erzählt, die den Konditormeister dahinraffte, aber niemals verlor sie auch nur eine Silbe darüber. Und auch Raimondo schwieg, ließ sich kaum anmerken, wie sehr ihn das alles belastete.
Ich war froh, wenn er mit meiner Mutter stundenlang um die Welt reiste, denn dann war er unbekümmert und lebendig, wie damals, als ich ihn kennenlernte.
Durch die Besuche all unserer Freunde war Mutter also gut unterhalten. Fast jeden Tag kam – dank Edvards Organisationstalent – mindestens einer vorbei. Trotzdem plagte mich immer wieder dieses untrügliche Gefühl, daß ich mich mehr um sie kümmern sollte, mehr Zeit mit ihr verbringen. Und genau dieser Druck war es, der mich oft hinaustrieb und zu Raimondo flüchten ließ. Adrian war immer für eine Ausrede gut.
Wenn ich mit Raimondo allein war, verhielt er sich ganz anders. Mutter imponierte er, er blähte seine Brust, so wie er es damals auch vor mir getan hatte, damals, als wir uns kennenlernten und er sich bemühte, mich zu erringen, zaghaft zwar und vorsichtig, aber mit Erfolg. Wenn er mit mir allein war, fiel seine aufgeplusterte Fassade, und all seine Hoffnungslosigkeit trat hervor, sein Zweifel am Leben, sein Undank für das, was es ihm beschert hatte.
Edvard fiel es schwer, daß er, wenn es um den Italiener ging, immer wieder mal zurücktreten mußte. Und oft habe ich mich gefragt, ob ich mit der vielen Zeit, die ich mit Raimondo verbrachte, Hoffnungen weckte, die ich nie erfüllen können würde. Aber wäre es besser gewesen, den Kontakt abzubrechen? Sollte ich lügen und sagen: „Ich will dich nicht mehr sehen.“ Um was zu erreichen? Wie verletzt wäre er denn gewesen, wenn ich ihn gänzlich zurückgestoßen hätte?
Dazu kam: Wenn ich tief in mich hineinschaute, spürte ich, daß Edvard zwar mein Mann war, aber Raimondo mein Freund – auch wenn ich dies niemals öffentlich gestanden hätte.
In der ersten Woche rief Malvyn täglich an, und jedesmal schlug mein Herz höher. Ich mußte oft an ihn denken, an die Nacht, die Edvard und ich mit ihm verbracht hatten, und es zeigte mir, wie groß die Versuchung war. Genau, wie ich es befürchtet hatte. Nein, Sex außerhalb der Beziehung, das konnte nicht gut gehen. Ich war froh, daß Malvyn nun so weit weg war.
Ein paar Mal hatte ich versucht, das Thema anzuschneiden, aber nie brachte ich es übers Herz. Ich hätte vor Edvard zugeben müssen, daß mir an Malvyn mehr lag, daß ich mich auf diese Aktion nicht nur eingelassen hatte, um dem Jungen zu zeigen, wie Safer-Sex funktioniert, sondern weil ich einen Narren an ihm gefressen hatte.
Vier Wochen; genug Zeit, um mich wieder auf Edvard und mich zu besinnen. In vier Wochen würde ich es schaffen. Bis dahin war alles vergessen.
Obwohl sich sein Onkel sehr um ihn kümmerte, war in den ersten Gesprächen nicht zu überhören, daß sich Malvyn unwohl fühlte, aber schon bald wurden die Abstände zwischen seinen Anrufen länger, und die vertraute Gelassenheit kehrte in seine Stimme zurück.
Am ersten Wochenende machte er sich auf, Londons Szene zu entdecken. Ich weiß noch genau – er hatte es uns am Nachmittag erzählt, bevor er ausging –, daß Edvard und ich abends lange wach im Bett lagen, weil wir uns Sorgen machten, wie es ihm wohl ergehen möge. Edvard hatte die Szene vor Jahren kennengelernt und natürlich auch ein paar Clubs, von denen wir uns sehr wünschten, daß Malvyn sie nicht finden würde. Deshalb erwarteten wir seinen Anruf am nächsten Tag mit Spannung.
Bei jedem Klingeln sprangen wir auf, und Edvard schnappte den Hörer, noch bevor der erste Ton verklungen war. Als Edvard ihn dann endlich an der Strippe hatte – ich vermied es, mit ihm zu sprechen, weil ich Angst hatte, meine Gefühle zu verraten –, wiederholte
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