Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
schließlich hatte ich ihr die Geschichte schon oft vorgelesen – und schaltete leise das Licht aus. Trotzdem mußte ich aufpassen, denn beim ersten falschen Wort wäre sie sofort aufgewacht.
Ich sprach immer leiser, verstummte schließlich ganz, blieb aber noch sitzen, bis ich sicher sein konnte, daß sie eingeschlafen war. Als ihr Atem tief und regelmäßig ging, stand ich langsam auf und tastete mich zur Tür vor.
Draußen rieb ich mir die Augen; sie brauchten einen Moment, bis sie sich ans Licht gewöhnten. Dann ging ich um den Tisch herum und begrüßte Jean-Paul. Er stand auf und schüttelte mir die Hand; ich klopfte ihm auf die Schulter. „Schön, daß du kommen konntest“, sagte ich.
„Danke für die Einladung“, antwortete er.
„Guten Abend, Bernhard“, begrüßte mich Max.
„He.“ Ich schüttelte seine Hand. Max war ein großer, hagerer Typ, der immer dunkle Kleidung trug und Sommer wie Winter einen langen schwarzen Mantel. Begegnete man ihm nachts auf der Straße, hätte man vermutlich kaum mehr als einen Schatten wahrgenommen, kreuzte er jedoch den Weg, trieb er einem einen Schauer über den Rücken.
Mir war zu Ohren gekommen, daß Max beim Sex regelrecht aufblühte, was meine Vermutung nur unterstützte, nämlich daß er in Wahrheit ein Vampir war. Natürlich meinte ich das nicht wörtlich – das wäre ja ziemlich albern –, aber bildlich. Ich stellte mir vor, daß jeder, der mal was mit ihm gehabt hatte, blaß und blutleer durchs Leben lief.
„Und? Schläft sie?“ fragte Edvard; ich streichelte ihm über die Brust.
„Tief und fest.“
Er packte mich, zog mich zu sich hinunter und gab mir einen Kuß. „Dann hast du dir jetzt eine kleine Stärkung verdient“, sagte er und schob mich auf den Stuhl. „Setz dich und unterhalte die Gäste! Dann kann ich fertigköcheln.“ Er schenkte mir ein, dann den anderen nach. „Übrigens, Kim hat gerade angerufen.“
Ich schaute auf die Uhr: kaum anderthalb Stunden, nachdem sie es versprochen hatte.
„Ich habe ihr gesagt, daß Goldlöckchen schon schläft und sie sie erst morgen holen soll.“
„Gut.“
„Auf das Wohl der Gastgeber!“ sagte Max und hob sein Glas. Er schaute Edvard an.
Ich blickte in Jean-Pauls große, weite Augen; sie funkelten. Plötzlich wußte ich, was meinen Mann an ihm faszinierte. Er schien einer Modezeitschrift entsprungen: gestylt, gezupft, geschminkt, alles einen Tick zu schön, um echt zu sein. Bestimmt trug auch er schneeweiße Feinripp-Unterwäsche, duschte zweimal am Tag, wie Edvard, und räumte die Spülmaschine ein, als würde sie danach für Architectural Digest fotografiert. „Prost!“
Max nahm einen Schluck, sog ihn lautstark durch die offenen Lippen und ließ ihn dann die Kehle hinunterrinnen.
Die beiden waren das absolute Kontrastprogramm. Wie konnte Edvard auch nur im entferntesten annehmen, daß Jean-Paul sich für Max interessieren könnte?
„Und? Hat das mit der Wohnung geklappt?“ fragte ich Jean-Paul, der, als wir ihn kennenlernten, gerade einen Besichtigungstermin hatte, aber die Straße nicht finden konnte.
„Nein. Aber ich hab inzwischen eine andere. Ich bin froh, daß ich das hinter mir habe.“
„So schlimm?“
„Nicht die Wohnungssuche an sich. Obwohl, das ist auch nicht gerade angenehm.“
„Sondern?“
„Ich habe Max und Edvard gerade erzählt, daß ich wegen einem Kerl nach München gezogen bin. Aber als ich dann vor seiner Tür stand, war schon ein anderer eingezogen.“
„Ja, so schnell kann’s gehen“, sagte Max.
„Ich verstehe nicht ganz“, sagte ich.
„Ist auch kein Thema für ein Abendessen.“ Jean-Paul hob sein Glas. „Prost!“ Offensichtlich wollte er das Thema nicht vertiefen. Er nahm einen Schluck und setzte dann an, seinen Pullover auszuziehen, packte ihn dazu am Kragen.
„Oh, nein!“ rief Max, griff sich erschrocken ans Herz und machte ein entsetztes Gesicht.
„Was?“
„Max meint, es wäre unsere Pflicht, einen Pullover nicht wie Damen genant über den Kopf zu ziehen“, erklärte Edvard und stellte Olivenöl und Weißbrot auf den Tisch, „sondern ihn sich wie ein Cowboy vom Leib zu reißen, der sich nach tagelangem Ritt an einem kühlen Bach den wunden Körper wäscht.“
„Ach so.“ Jean-Paul packte seinen Pullover nun am Bund und stülpte ihn sich mit gespannten Muskeln über den Kopf.
„Bravo!“ klatschte Edvard.
Max musterte Jean-Paul; ich wartete darauf, daß er sich die Lippen leckte, aber er tat es nicht.
Zuerst gab es
Weitere Kostenlose Bücher