Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
das nicht selbstverständlich wäre.
„Aber natürlich“, antwortete ich. „Treue ist die Basis einer jeden Beziehung, sonst ist es keine.“ Dann rief ich in die Küche: „Edvard, brauchst du Hilfe?“
„Nein, nein. Ich mach das schon“, rief er zurück. „Unterhalte du die Gäste.“
„Ich meine nicht seelische Treue, sondern sexuelle“, bohrte Jean-Paul weiter.
„Fremdgehen? Das würde keiner von uns dem anderen antun.“
„Ach, wirklich?“ fragte Max, das Biest, höhnisch. In seinen Augen war diese Einstellung bestimmt mittelalterlich. Es war klar, daß er dazu einen boshaften Kommentar abgeben mußte.
„Hast du Zweifel daran?“
Max lag etwas auf den Lippen, und er verkniff sich ein wissendes Grinsen. Was für ein Ekelpaket.
„Das ist unsere Vereinbarung für den Moment“, sagte Edvard und stellte eine große Schale mit Feigen in goldener Soße auf den Tisch. „Ich messe Sex nicht so einen hohen Stellenwert bei. Bernhard ist dieses ‚Treueding‘ sehr wichtig, also bitte.“ Dann ging er wieder in die Küche.
„Kommt ihr damit nicht in Schwierigkeiten?“ fragte Jean-Paul. „Die Grenzen sind doch sehr eng gesteckt.“
Wollte er mit dieser Frage etwa in Erfahrung bringen, wie weit er mit mir gehen konnte? Mein Herz pochte plötzlich bis zum Hals. „Was wir von anderen so mitkriegen, führt es unweigerlich zu Problemen, wenn man die Beziehung auf irgendeine Weise öffnet. Absolute Treue ist eine klare und eindeutige Grenze. Und damit basta.“
„Wie lang seid ihr jetzt zusammen?“
„Viereinhalb Jahre.“
„Hast du nie das Bedürfnis gehabt, Sex mit einem anderen zu haben oder auch nur einen anderen zu küssen?“ Jean-Paul schaute mir mit einem durchdringenden Blick in die Augen. Es wurde eng in meiner Hose, mir kribbelte es auf der Haut.
Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihn einfach geküßt, aber ich hielt mich an unsere Treuevereinbarung. „Nein!“
„Erstaunlich.“
Max hatte sich bisher zurückgehalten, aber es war zu erwarten, daß er seinen Senf dazugeben würde: „Egal, mit wem ich darüber spreche, jeder hat eine Regel über Sex außerhalb der Beziehung. Aber egal, wo die Grenzen gesteckt sind, früher oder später überschreitet sie einer von beiden, und dann gibt es ein Riesendrama.“
„Drama?“ fragte Edvard und stellte jedem einen großen Teller mit je drei Kugeln hellgrünem Sorbet vor die Nase. „Wo gibt’s ein Drama?“ Und schon war er wieder weg. Mein Edvard.
„Regeln“, unterstrich Max. „sind überhaupt nur dazu da, gebrochen zu werden.“
„Nicht immer“, sagte ich und hob den Zeigefinger.
„Aber immer öfter“, sagte Jean-Paul und seufzte wissend.
„Die Feigen nehmt ihr euch bitte selbst“, sagte Edvard und stellte einen Teller auch auf seinem Platz ab. „Ich bin zu betrunken, um jetzt noch zu derokieren.“
Wir beide lachten, die anderen verstanden das natürlich nicht, dann zog Edvard den Stuhl mit dem Fuß zu sich heran und ließ sich hineinfallen. Es sah ziemlich schlampig aus, im nüchternen Zustand wäre es ihm peinlich gewesen. Mir aber gefiel es, wenn er sich denn mal ein wenig gehenließ.
„Mit dieser Regelei geht es doch nur darum, den anderen irgendwie zu kontrollieren“, fuhr Jean-Paul fort und imitierte eine Fernbedienung: „Streicheln, Küssen, Nähe und – ganz wichtig – der Ton-Aus-Knopf, damit man den anderen mundtot machen kann, wenn er was sagt, was einem nicht paßt.“
Edvard steckte sich etwas Eis in den Mund und klopfte dann mit dem Löffel gedankenverloren gegen seine Lippen. Jetzt wußte ich auch, woher Hannah das hatte. „Max ist Schriftsteller, weißt du“, sagte er aus heiterem Himmel – wie gesagt, das ging schon den ganzen Abend so: Ein Themenwechsel jagte den nächsten.
Jean-Paul nickte, erst dann schien es ihm zu dämmern. „Etwa der Max?“
„Ich weiß nicht, wie viele du kennst“, antwortete Max, und ein süffisantes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Na der, der sich im Buch ‚Mäxx‘ nennt. Freut mich, dich kennenzulernen, Mäxx.“ Jean-Paul streckte ihm die Hand entgegen.
Auf zur fröhlichen Autogrammstunde, dachte ich. Gleich würde es nur noch um den Roman gehen, um Max‘ zügelloses, ungebundenes Leben und seine hoffnungslose Liebe zu dem an Aids erkrankten Nachbarn Christian, dessen Tod ihn angeblich zu einem beziehungsfähigen Menschen gemacht haben soll.
Max drückte Jean-Pauls Hand halbherzig. „Sag Max zu mir“, sagte er und grinste
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