Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Unglücksbringer und nicht das Lied. »Möglicherweise hättet ihr mich dann nicht mitnehmen sollen, wer weiß, was noch passiert …«
»Unsinn!«, entgegnete Micha wie aus der Pistole geschossen. »Nicht du bist schuld an dem ganzen Kram, sondern eindeutig Wham!«
»Ja!«, riefen die anderen, die noch wach waren, zustimmend. Was der Schläfer dazu meinte, konnte man natürlich nicht ergründen.
»Aber wie sollte denn ein Lied Unglück bringen?«, entgegnete sie, denn wenn man genauer darüber nachdachte, war die Behauptung, dieses alte Lied sei ein Unglücksbringer, völlig absurd. Eher könnte ihr Weihnachtshass all das Unglück anziehen …
»Weil es wirklich ein uraltes, ätzendes Lied ist, das alle Menschen hektisch macht und nervt. Was meinst du, warum alle so unentspannt sind?«
»Ja, das finde ich auch!«, stimmte Jason zu und nahm noch einen Zug von seinem Joint. Seine Augenlider hingen mittlerweile so tief runter, dass es zum Ersten ein Wunder war, dass er noch mitbekam, was geredet wurde, und es zum Zweiten nicht mehr lange dauern würde, bis seine Augen vollständig zuklappten.
Wenig später tönte angenehme Rockmusik durch die Lautsprecher des VW -Busses. Anna konnte sich gut vorstellen, wie die vier im Sommer damit zu Festivals unterwegs waren. Warum war ihr so was noch nie in den Sinn gekommen? Sie könnte sich so ein Gefährt mit Paula mieten und dann den ganzen Sommer über unterwegs sein …
Wobei: Würde das noch gehen, wenn Paula sich entscheiden sollte, Karsten zu heiraten?
Da die anderen außer Micha nun mit sich oder ihren Joints beschäftigt waren, öffnete sie ihren Koffer und zog das Märchenbuch von Frau Hallmann heraus. Sie widerstand der Versuchung, den Brief noch einmal zu lesen, stattdessen begann sie, in dem Buch zu blättern. Die Abbildungen waren wirklich schön, und wie sie bald feststellte, befanden sich noch einige vergessene Märchen, von denen sie erst im Studium gehört hatte, darin. Dieses Buch war ein wirkliches Juwel, und sie freute sich schon, Jonathan daraus vorzulesen.
»Ey, das ist ja mal abgefahren«, raunte Clarissa neben ihr. Anna fuhr zusammen. Sie hatte nicht mitbekommen, dass ihre Mitfahrerin hinter ihr aufgetaucht war.
»Was ist abgefahren?«, wollte Jason wissen, doch er hing schon schräg auf seinem Sitz und war dem Schlaf bedrohlich nahe.
Clarissa ignorierte ihn. »Wo hast du denn dieses Buch her?«, erkundigte sie sich und ließ sich dann neben Anna auf den Sitz sinken.
»Von einer alten Dame, um die ich mich kümmere. Sie hat es mir zu Weihnachten geschenkt.« Clarissa streckte die Hand aus. »Darf ich?« Als Anna nickte, strich sie vorsichtig mit dem Zeigefinger über die Seiten. »Das erinnert mich ein bisschen an meine Oma«, sagte sie nachdenklich. »Sie hat auch so eins gehabt.«
Anna wollte schon fragen, was mit ihrer Oma passiert ist, da sagte Clarissa: »Sie ist gestorben, als ich zehn war. Damals hatte ich schon keinen Bock mehr auf Märchen, und meine Eltern haben es bei der Haushaltsauflösung weggegeben. Aber immer, wenn ich so ein Buch sehe, muss ich an sie denken.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau.
»Was machst du eigentlich so?«, erkundigte sich Anna, nachdem sie Clarissa noch einen Blick in das Buch gewährt hatte. Den Brief umging sie dabei wohlweislich, denn diesen wollte sie ihrer Sitznachbarin nicht preisgeben.
»Ich studiere in Potsdam. Jura.«
Das überraschte Anna nun doch. Eine kiffende Rechtsanwältin? Aber irgendwie hatte der Gedanke was. Vielleicht hatte auch ihr strenger Professor Winkelmann irgendwann in seiner Jugend an einem Joint gezogen. Das würde erklären, warum er manchmal recht ungewöhnliche Einfälle hatte.
»Aber ich weiß noch nicht, ob ich als Anwältin arbeiten will. Das Studium war hauptsächlich der Wunsch meiner Eltern. Sie wollen, dass was Richtiges aus mir wird, wenn du verstehst.«
Anna verstand sehr gut, und sie erinnerte sich wieder an Gerd, der ihr stets Vorhaltungen wegen ihres Studienfachs machte. Aber sie war fest entschlossen, es ihm zu zeigen.
»Mein Stiefvater würde aus mir auch etwas anderes machen, aber wer sagt denn, dass ich mit einem Studium der Literatur nichts werden kann.«
»Stimmt, vielleicht bekommst du irgendwann mal den Literaturnobelpreis.«
Anna lachte auf. »Wenn es nach meinem Prof geht, bekomme ich nicht einmal meinen Abschluss. Aber letztlich spielt das Leben doch anders, als man es selbst und andere es erwarten. Vielleicht gibt’s
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