Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
ohne Gras und Schlümpfe.«
Wohl eher Lust, nach Hause zu kommen. Aber das war nicht mit Kerouac vereinbar, also verschwieg sie ihren wahren Beweggrund und sagte nur: »Klar doch. Wenn dein Freund nicht wieder türmen will.«
»Der schläft jetzt tief und fest, bis wir zu Hause sind.«
Micha lächelte, zwinkerte ihr mit seinen meerblauen Augen zu, dann drehte er sich um. »He, Clarissa, mach mal die Seitentür auf, damit unser Gast einsteigen kann. Sie möchte sich an der Bewachung von Piet beteiligen!«
Etwas enttäuscht stellte Anna fest, dass auch noch andere Leute in dem Bus saßen. Na, was hast du denn gedacht?, meldete sich ihre kleine Hinterkopfstimme vorwurfsvoll.
Die Seitentür wurde aufgeschoben, und ein hübsches Mädchen mit kastanienbraunen Haaren schaute nach draußen. »Hi!«, sagte auch sie, und Anna fiel auf, dass ihre Augen nicht nur grasgrün waren, sondern auch von ziemlich schwer wirkenden Lidern bedeckt wurden. Schlafzimmerblick nannte man das wohl.
Im ersten Moment hielt Anna sie für die Freundin des Surferboys, doch dann sah sie, dass noch zwei weitere Jungs im Wagen waren. Piet, der Schlumpfmann, lag in eine dicke Decke eingewickelt auf einer der Sitzbänke, ein anderer lehnte an der Wand des Gefährts und blickte sie ein wenig glasig an, und dann schlief noch einer auf dem Beifahrersitz, den sie von draußen gar nicht bemerkt hatte.
Woher das kam, verriet Anna ihre Nase. Diesen Geruch hatte sie auch schon einige Male in ihrem Studentenwohnheim wahrgenommen. Vielleicht hatte er nicht gerade das Schlumpfgras geraucht, aber sicher was anderes …
Doch bevor sie darüber nachdenken konnte, sagte Clarissa auch schon: »Steig ein. Wir wollten ohnehin gleich losfahren.«
Anna hievte ihren Koffer ins Innere und nahm auf einem freien Sitz Platz.
»Ich bin Clarissa, das ist Jason und die Schlafmütze da vorn, die eigentlich Michas Beifahrer sein sollte, ist Max.«
Anna winkte in die Runde und stellte sich ebenfalls vor.
»Wir kommen gerade von der Ostsee«, sagte Clarissa mit den schweren Augenlidern. »Abgefahren sage ich dir!«
»Ja, ich weiß«, antwortete Anna. »Ich komme auch gerade von dort.«
»Ach echt?«, fragte sie und riss erstaunt die Augen ein bisschen weiter auf.
»Ja, ich komme aus Binz. Na ja, eigentlich wollte ich nach Berlin.«
»Wie bist du denn hier gelandet, wenn du nach Berlin wolltest?«, fragte Jason, nachdem er einen Zug von seinem Joint genommen hatte, der für den Geruch im Fond sorgte. »Ist doch ’n ziemliches Stück weg.«
Anna atmete tief durch. Mittlerweile hasste sie es zutiefst, ihre Geschichte zu erzählen, denn sie hatte das Gefühl, dass sich nach jedem Erzählen den bisherigen Katastrophen weitere angliederten. Ob nun mit oder ohne George Michael.
Doch die jungen Leute nahmen sie ohne Zögern und langes Bitten mit und waren auch sehr nett, also erzählte sie sie noch einmal. Als sie bei den alten Damen angekommen war, ließ Micha den Motor an und fuhr den Bus aus der Parklücke. Dann bog er auf die Straße, und aus dem Augenwinkel heraus erkannte Anna, dass er denselben Weg nahm, den sie zuvor mit den Zollbeamten gefahren war. Ein einziges Hin und Her. Vielleicht sollte sie wie Kerouac auch einen Reiseroman schreiben. Doch wer wollte schon etwas über die Irrfahrten einer Studentin zur Weihnachtszeit lesen? Ein Roman über einen Surfer, der Schlümpfe sah, war doch schon etwas anderes.
»Ist ja echt krass«, sagte Micha von vorn. »Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so viel Pech hat. Außer Piet vielleicht, wenn er ein Zeug erwischt, das ihn Schlümpfe sehen lässt.«
»Warte, es kommt noch besser!«, gab Anna zurück und berichtete dann von Jaroslav, den Zöllnern, der Kaffeeattacke und dem verpassten Zug. Und »Last Christmas«.
»Das Lied nervt wirklich«, stimmte Clarissa ihr zu. »Immer wenn das kommt, kriegt Micha vorn einen Anfall.«
Wirklich? Anna lächelte in Richtung Fahrer. Dann hatten sie ja noch was gemeinsam.
»Ja, dann möchte ich auch am liebsten nur in Badehose in den Schnee laufen. Da ich euch ersparen will, mich wieder einzufangen, werde ich jetzt auch eine CD reinschieben«, kündigte er an und blickte auf seine Uhr. »Wenn das Lied jetzt schon mehr als eine Stunde nicht gespielt wurde, stehen die Chancen gut, dass wir es während der Fahrt abbekommen. Und ich habe keine Lust, mit der Karre hier liegenzubleiben.«
Er zwinkerte in Richtung Anna. Diese wurde rot. Vielleicht war sie ja auch der
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