Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
selbst rauche schon nicht mehr, deshalb muss ich bei unseren Ausflügen auch immer fahren.«
Jetzt lächelte auch Anna. Der Bursche war vollkommen in Ordnung. Kein Typ fürs Leben, aber sicher ein guter Kumpel für die Ewigkeit.
»Na ja, wie ich schon sagte, ich mag Weihnachten nicht mehr so besonders gern. Ich dachte immer, die Liebe dazu sei mir schlagartig abhandengekommen, aber wenn ich ehrlich bin, verschwand meine Vorfreude mit jedem Jahr, in dem mein Vater an Weihnachten nicht zurückkehrte – obwohl ich mir das so sehr gewünscht habe. Er hat uns nicht mal eine Weihnachtskarte geschickt, keine Anstalten gemacht, mich zu Weihnachten anzurufen. Einfach nichts.«
»Hast du mal versucht, ihn zu finden?«
Anna schüttelte den Kopf. »Nein, denn als ich alt genug war, um das zu tun, hatte ich schon keinen Bock mehr drauf.
Ich war mir gar nicht mehr bewusst, dass der Streit, der schließlich zur Trennung meiner Eltern führte, an Weihnachten stattfand. Ich habe vorhin davon geträumt und das alles wieder gesehen und weiß nun, dass ich nicht auf meinen Stiefvater und meine Mutter sauer bin, der eigentliche Schuldige ist mein Vater. Der Streit an Weihnachten. Unbewusst verbinde ich mit Weihnachten seitdem wohl immer Verlust. Als Kind war mir das nicht so aufgefallen, doch als ich älter wurde, hat sich das irgendwie in mir festgesetzt, und da bin ich nun …«
»Auf seine Träume zu achten ist sehr wichtig.«
»Meinst du?«
»Ja klar! Abseits von allem Traumdeutungs-Hokuspokus sind Träume wichtig, um Dinge, die du erlebst oder die dir auf der Seele liegen, zu verarbeiten.«
»Dann sollte ich vielleicht öfter träumen«, entgegnete Anna nachdenklich. »Komischerweise gelingt mir das nur, wenn ich durch die Gegend gondele, obwohl ich das eigentlich nicht will.«
»Gerade deshalb sind Reisen ja so wichtig – dann findet man auch zu sich selbst. Wie du jetzt gerade.« Er machte eine kurze Pause und fügte dann kichernd hinzu: »Kann aber auch sein, dass das von dem Rauch im Wagen kommt. Ich lasse mir hier schon die ganze Zeit über frische Luft in den Wagen pusten, damit es mich nicht umhaut. – Aber zurück zu dir, was ist mit deinem Vater passiert?«
»Er ist nicht mal einen Monat später abgehauen. Mama hatte mir nicht sagen wollen, warum, aber mittlerweile weiß ich, dass eine andere Frau daran schuld war. Er wollte mit ihr um die Welt ziehen. Frei sein. Der ganze Quatsch. – Kann man eigentlich frei sein, wenn man mit jemandem zusammen ist?« Anna überlegte, bis Micha sagte: »Kommt wohl auf den Menschen an, mit dem man zusammen ist.«
»Hm, kann sein. Na, auf jeden Fall zog er mit dieser Frau fort, und ab dann waren wir für ihn gestorben. Natürlich musste er Unterhalt zahlen, und das hat er auch gemacht, aber das Weihnachten, an dem es zum Streit kam, war das letzte, das wir gemeinsam gefeiert haben.«
»Das ist sehr bitter. Aber dass du darüber sprichst, zeigt, dass du bereit bist, es loszulassen.«
Anna nickte. »Ja, vielleicht. Auf jeden Fall hatte er uns verraten, und Gerd hat seine Stelle eingenommen, und ich habe Gerd all den Hass entgegengebracht, den ich Papa eigentlich entgegenbringen wollte. Und nach jedem enttäuschten Weihnachten wurde meine Freude daran kleiner, und mittlerweile brauche ich nur gebrannte Mandeln zu riechen oder ein Weihnachtslied zu hören, um die Krise zu kriegen.«
»Also was Weihnachtslieder im Radio angeht, stehe ich da auch nicht so drauf.«
»Ja, genau! Dieses Gefühl habe ich auch immer! Wenn du das schon sagst als jemand, der Weihnachten toll findet …«
»Wart’s ab, du findest Weihnachten auch toll, das musst du nur wieder zugeben können. Das Essen, die Lichter, diese blöde Schwere, die auf einem lastet, wenn man sich wieder mal am Gänsebraten überfressen hat. Das alles mag einem sonst doof erscheinen, aber zu Weihnachten darf man sich mal richtig hängenlassen. Ich freue mich jedenfalls auf nachher, wenn meine Ma mit dem Kartoffelsalat und den Würstchen anrückt.«
»Dann feiert ihr Freunde nicht gemeinsam?«
»Nee, wo denkst du hin! Ich liefere alle nach und nach bei ihren Familien ab, für Clarissa und Jason muss ich sogar bis nach Oranienburg. Ihre Eltern wohnen da, sind Rechtsanwälte.«
»Haben die denn kein Problem mit den Joints?«
»Nee, die haben als Jugendliche selbst gekifft, wahrscheinlich noch schlimmer als Clarissa selbst. Klar, hin und wieder ermahnen sie sie, aber was will man einer Neunzehnjährigen schon groß sagen,
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