Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
ja irgendwann mal Romane von mir. So richtig schmalzige, die dann auf der Bestsellerliste stehen. Das schaffe ich wohl eher, als anspruchsvolle Leser zu begeistern.«
»Aber immerhin kannst du dann machen, was du magst. Oder willst du keine Geschichten schreiben?«
»Klar, nur will ich eigene Geschichten schreiben, nicht das, was ein Professor von mir verlangt.«
Clarissa nickte nachdenklich, dann sagte sie: »Wenn es nach mir ginge, würde ich um die Welt reisen und Reiseführer schreiben.«
»Ja, in die du dann reinschreibst, wo es das beste Gras gibt«, meldete sich Micha von vorn.
»Ja, grünes Gras«, entgegnete Clarissa. Ihre Augen funkelten schelmisch. »Davon soll es überall auf der Welt welches geben. Von dem anderen wollen die Verlage wohl nichts wissen.«
»Warum denn nicht?«, entgegnete Micha lachend. »Kannst es ihnen ja damit schmackhaft machen, dass sie vielleicht neue Freunde kennenlernen. Blaue …«
Clarissa ignorierte ihn. »Auf jeden Fall find ich es toll, wenn du etwas machen kannst, das dir Spaß macht. Sobald ich meinen Abschluss in der Tasche habe, werde ich das vielleicht auch tun.«
Anna blickte auf ihr Märchenbuch, doch da sie keine Lust hatte, darin zu lesen, klappte sie es wieder zu.
Bestimmt ist bei Frau Hallmann jetzt schon Bescherung. Anna erinnerte sich, als sie klein war, hatten sie immer eine ziemlich frühe Bescherung, denn sie hatte ja eher ins Bett gemusst als die Erwachsenen.
Den Kopf an die Scheibe gelehnt blickte sie nach draußen auf die Bäume, deren Hintergrund sich rot verfärbte. Der Schnee wirkte auf einmal wie rosa Zuckerwatte, zwischen den Baumstämmen blitzte hin und wieder die Abendsonne auf. Anna schloss die Augen. Die Schatten der Bäume huschten an ihren geschlossenen Lidern vorbei. Die Sonne wärmte ihr Gesicht. Ruhe und Wärme durchflossen ihre Glieder.
Und dann …
… stand sie wieder vor dem Haus mit der viel zu hohen Tür. Nur dass diese Tür nicht mehr ganz so hoch war und der alte Mann mit dem weißen Bart nicht mehr ganz so bedrohlich. Er lächelte sogar, als er sie hereinbat. Und da stand Anna nun, in einem kleinen Raum mit bunten Kacheln und einem weißen Tisch mit vier Stühlen in der Mitte. Erstaunt stellte sie fest, dass es sich um ihre eigene Küche handelte, oder besser gesagt die Küche ihrer Kindheit, in der Wohnung, die sie mit ihrer Mutter bewohnt hatte, bis diese Gerd kennenlernte. Es roch süß, ein Duft nach Zuckerwatte und Mürbeteigplätzchen waberte durch den Raum. Von irgendwo tönte ein Kinderlachen, dann sah sie sich selbst um die Ecke laufen, ein Mädchen von neun Jahren mit Zöpfen an den Seiten, die von Kirschzopfhaltern zusammengehalten wurden. In der Hand hielt sie Bastelzeug. Daraus wollte sie einen Weihnachtsbaum basteln, der den Esstisch am Abend schmücken sollte.
Sie beobachtete ihr jüngeres Selbst, wie sie einen kleinen Weihnachtsbaum aus grünem Faltpapier ausschnitt.
Da kam ihr Vater um die Ecke. Er strich der kleinen Anna über den Kopf, lächelte, beugte sich zu ihr hinunter. »Na, was machst du denn da Schönes?«
»Einen Weihnachtsbaum«, hörte sich Anna sagen und sprach im Traum die Worte unwillkürlich mit. »Für heute Abend.«
»Oh, der wird sicher ganz toll.«
Er küsste ihren Scheitel und verließ die Küche dann wieder.
Ein jähes Krachen durchschnitt die Stille plötzlich. Die kleine Anna blickte erschrocken auf. War das eine Vase, die da auf dem Boden zerschellt ist?
Sie legte den Klebestift beiseite, rutschte vom Stuhl und lief zu der Tür, hinter der der Vater verschwunden war.
Noch auf dem Weg hörte sie, wie sie sich stritten. Das taten sie in der letzten Zeit häufig, doch nie war dabei etwas zu Bruch gegangen. Im Gegensatz zur kleinen Anna wusste die große allerdings, dass ihr Vater der Auslöser war. Und dass es um eine andere Frau ging.
Aber jetzt folgte sie ihrem kleinen Selbst aus der Küche.
Als die kleine Anna um den Rahmen der Schlafzimmertür spähte, sah sie die Scherben einer alten Vase auf dem Teppich liegen. Und sie sah auch, wie die Mutter den Vater wütend anfunkelte. Ihr Vater zitterte am ganzen Körper, aber nicht, weil ihm kalt war oder er sich fürchtete, nein, er zitterte vor Wut.
Als sein Kopf zur Seite schnellte und er Anna ansah, waren seine Augen dunkel. Von einem Augenblick zum nächsten hatte er sich vollkommen verwandelt. Sein zorniger Ausdruck auf dem Gesicht hielt noch eine Weile an. Er traf Anna so unvermittelt, dass sie erschrocken
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