Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
gestattete sie sich ein paar Gedanken an Frau Hallmann, die sicher schon bei ihrem ersten Kind eingetroffen war, und an Paula, die bei ihrem Großvater saß, sich dessen Geschichten anhörte und dabei vielleicht darüber nachdachte, was sie denn mit dem Heiratsantrag ihres Freundes machen sollte.
Die Beschäftigung mit diesen beiden ihr so lieben Menschen brachten sie wieder ein wenig zum Lächeln.
Ein schwerer bleigrauer Himmel lastete auf der Stadt, doch an den Rändern schaute ein wenig die Sonne hervor. Die Luft war ziemlich kalt, der Schnee knirschte laut unter ihren Füßen. Ein paar Flöckchen rieselten gemächlich vom Himmel. Würde es heute Nacht wieder so verheerend schneien wie gestern?
Gestern … Anna kam es nicht so vor, als sei erst ein Tag vergangen, seit sie die Wohnung von Paula verlassen hatte. Eher schien ein ganzes Jahr dazwischen gelegen zu haben. Aber es war nur ein Tag, angefüllt mit mehr Ereignissen, als sich ein einzelner Mensch träumen lassen konnte.
Aber auch dieser Tag würde vergehen, und wenn sich Anna zwar irgendwie erschöpft und furchtbar fühlte, so würde sie vielleicht am Ende unter einem Weihnachtsbaum sitzen, benebelt vom Wein und ihren kleinen Bruder an sich gekuschelt.
Kaum hatte sie sich ein Stück vom Bahnhof entfernt, wurde sie auf dem Parkplatz dahinter auf einen knallbunten VW -Bus aufmerksam, der direkt aus den siebziger Jahren zu kommen schien. Blumenmuster waren auf die Seitenwände gemalt, ein großes Peace-Zeichen prangte auf der Heckscheibe. Das Berliner Kennzeichen ging in all dem Schmuck beinahe unter.
Während sie das Gefährt noch fasziniert betrachtete, schoss eine Gestalt dahinter hervor.
»Schlümpfe!«, rief er panisch. »Sie sind überall!«
Anna glaubte, nicht richtig zu sehen. Der hagere Mann, der ungefähr in ihrem Alter war, trug gelbe Shorts mit türkisfarbenen Aloha-Blüten, sein Oberkörper war nackt. Wer rannte bei den Temperaturen so rum? Und was hatte es mit den Schlümpfen auf sich?
»He, Piet, komm zurück, du wirst erfrieren!«, rief da eine andere Stimme. Der junge Mann, der dem Shortsträger hinterherjagte, war wesentlich wärmer gekleidet. Sein blondes Haar war zu Rastazöpfen geflochten und wurde von einem bunten Band im Nacken zusammengehalten.
»Schlümpfe, Schlümpfe!«, rief der Verfolgte weiterhin und machte nicht den Anschein, als würde er den Schnee auf seiner Haut spüren.
Annas Entsetzen über seine Kälteunempfindlichkeit wurde noch größer, als sie sah, dass er nur Badeschlappen an den Füßen trug. Hatte er den Verstand verloren? Eine andere Erklärung gab es wohl nicht dafür.
Wahrscheinlich wäre er wirklich erfroren, wenn der Rastamann ihn nicht im nächsten Augenblick eingeholt hätte. Er riss den Shortsträger zu Boden, beide wälzten sich kurz im Schnee herum, dann zerrte der Rasta den Flüchtling am Arm in die Höhe.
»Hier sind keine Schlümpfe, Piet, du hättest dir das merkwürdige Kraut nicht reinziehen sollen.«
»Schlümpfe, sie sind da, siehst du sie nicht?«, kreischte der andere panisch weiter. »Sie sind hinter dem Wagen!«
»Nein, da sind keine Schlümpfe. Das Mädchen dort kann es dir bestätigen.«
Anna verstand erst einen Moment später, dass sie gemeint war. Jetzt war es ihr peinlich, dass sie einfach nur dagestanden und den Schlumpftypen angestarrt hatte.
»Stimmt, da sind keine Schlümpfe«, sagte sie, als der Rastamann sie bittend ansah. »Kann ich euch irgendwie helfen? Braucht ihr einen Krankenwagen oder so was?«
Der Rastamann schüttelte den Kopf. »Nein, Piet hat nur mal wieder was von diesem Kraut geraucht, das sein Cousin im Keller angebaut hat. Wir haben nicht mitbekommen, dass er was davon bei sich hat. Er hat nämlich schon beim ersten Mal so reagiert.«
»Du meinst, er sieht wirklich …« Anna sah davon ab, das Wort Schlümpfe zu erwähnen, denn sie wollte den Typen in Shorts nicht wieder an seine vermeintlichen Verfolger erinnern. »… kleine blaue …«
»Schlümpfe!«, rief der andere, worauf ihn der Rastamann weiterzerrte.
»Ja, die sieht er, aber das geht gleich vorbei. Danke für deine Hilfe, ich muss ihn jetzt wieder zum Wagen bringen!«
Anna sah den beiden hinterher. War wirklich alles in Ordnung? Es konnte doch nicht normal sein, wenn man nach dem Rauchen irgendeines Krauts feindlich gesinnte Schlümpfe sah.
Sie zog ihren Trolley zu dem VW -Bus, der in der Umgebung grauer Häuser so auffällig war wie ein Schneemann an einem Strand. Von seinen Insassen
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