Eine Zuflucht aus Rosen
Zustimmung erteilt, dass Lord Gavin meinen Vater töten soll?“
„Nein, nicht dass er ihn tötet – obwohl, um die Wahrheit zu sagen, mich deucht, Gavin würde nicht zögern das zu tun, sollte er einen zulässigen Grund dafür haben. Seine Majestät wünscht lediglich, dass de Belgrume, der einen rücksichtslosen Krieg gegen andere Barone geführt hat, um deren Ländereien zu stehlen, wieder unter Kontrolle gebracht wird.“
Auf einmal wurde Madelyne klar, wie sie missbraucht worden war. „Lord Gavin hat mich zum König gebracht, um damit seinen eigenen Zwecken zu dienen“, sagte sie tonlos. „Nicht den König verlangte es nach meiner Gegenwart – es war lediglich für Mal Verne und seine Pläne erforderlich, dass der König es anordnete.“
Judith musste die Kälte gesehen haben, die sich über Madelynes Gesicht legte, denn sie streckte die Hand aus, um die ihrer Freundin zu ergreifen. „Maddie, Gavin möchte Euch kein Leid zufü–“
Madelyne entzog sich ihr. „Davon weiß ich nichts. Aber ich weiß, dass ich nur gegen meinen Willen hier bin, nachdem man mich aus der sicheren Zuflucht gerissen hatte, wo ich mich befand – wo ich glücklich war. Viele Jahre lang. In dieser Welt, dieser Welt der Männer, verliere ich die Freiheit, die ich im Kloster hatte: die Freiheit zu lesen und zu schreiben, meine Angelegenheiten innerhalb des Klosters selbst zu regeln, und die Freiheit keinem Mann untertan zu sein, außer dem König – der nichts von mir wusste, bis Lord Gavin meine Gegenwart hinausposaunte.“
Sie wickelte sich die Arme um die Mitte, wie um gegen die Angst und den Zorn in sich anzukämpfen. Sie war eine Närrin gewesen zu glauben, dass der Mann ihr kein Leid zufügen wollte ... eine Närrin zu glauben, dass der Mann vielleicht an mehr als an seine eigenen Interessen dachte. Lady Anne hatte sie all die Jahre über davor gewarnt ... und jedes Wort, das ihre Mutter ihr gesagt hatte, hatte sie in der Gegenwart von Mal Verne in den Wind geschlagen.
„Ich soll also missbraucht werden, um meinen Vater zur Einsicht zu zwingen – oder zum Zwecke seines Todes.“ Ihre Stimme war tonlos und ihr Verstand wie betäubt. „Dann sprach Lord Gavin die Wahrheit, als er mich Geisel nannte. Ich soll als Werkzeug dienen, eine Karotte, die man meinem Vater vor der Nase baumeln lässt.“ Jegliche Hoffnung in ihr ruhiges, beschauliches Leben im Kloster zurückzukehren, entschwand da. Jäh blieb sie stehen und schaute zu einem der Fensterschlitze hinaus.
„Madelyne“, bevor Judith ihren Satz beenden konnte, ertönte ein Klopfen an der Tür, gefolgt von der Ankündigung, dass die Zofen zurückgekehrt waren.
Madelyne wandte sich der Tür zu, um zu antworten, hielt aber inne, als sie den ledernen Türriemen in der Hand hielt. „Aus welchem Grunde verlangt es Lord Gavin danach, meinen Vater zu vernichten?“
Zum ersten Male überhaupt wurde Judiths Miene da verschlossen und ihrem Gesicht kam das natürliche Leuchten abhanden. „Er möchte ein Unrecht rächen, von dem er glaubt, dass Euer Vater es mir angetan hat. Und ... und wegen dem anderen Grund, den er hat, Euren Vater zu hassen ... dazu müsst Ihr Lord Gavin selbst befragen.“
* * *
Obwohl Madelyne sie drängte mehr Informationen zu Gavins Verhältnis zu ihrem Vater preiszugeben, spürte Judith, dass sie hier keine weiteren Einzelheiten erzählen durfte. Sie würde nichts tun, was Gavins eigene Schuldgefühle noch verschlimmerte.
Sie stellte aber sicher, dass sie bis zum Abendessen in Madelynes Gemach blieb, damit sie ihre stolze Freundin in die Große Halle begleiten konnte, wo die Mahlzeiten abgehalten wurden. Sie war angenehm überrascht gewesen zu entdecken, dass Gavin ein Privatgemach für sie beschafft hatte, aber etwas verärgert, dass er seinen Schützling seit dem vorherigen Tag, als er sie hier gelassen hatte, nicht mehr besucht hatte. So hatte Madelyne das Zimmer nicht verlassen und hatte sich auf ihre Zofen Patricka und Peg verlassen, Brot, Käse und Wein für ihre Mahlzeiten zu beschaffen.
„Ihr müsst ausgehungert sein!“, stieß sie entsetzt aus, als sie von Madelynes schlichten Mahlzeiten erfuhr.
Mit einem Kopfschütteln und einem leisen Lächeln erwiderte Madelyne, „nein, Judith, ich bin mit derlei schlichten Mahlzeiten sehr zufrieden, denn so haben wir auch im Kloster gespeist. Und wahrhaftig, ich fühle mich mehr überwältigt denn behaglich hier bei Hofe.“ Ein Funken Humor blitzte da in ihren Augen auf und Judith lächelte
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