Eine zweite Chance für den ersten Eindruck (German Edition)
auch nicht tun. Außerdem ist es besser, wenn er mir heute nicht mehr unter die Augen kommt.
Jule bestellt uns gleich zwei Caipirinhas und hat uns an einem Tisch in der äußersten Ecke des Raums platziert. Natürlich suche ich den Raum unauffällig nach Eric ab, kann ihn aber nicht entdecken. Jule zerknirscht mir gegenüber den braunen Zucker zwischen ihren Zähnen. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich muss hier für einen Moment raus.
„Ich gehe kurz zur Toilette“, brülle ich ihr über die laute Musik entgegen. Sie nickt und wendet sich wieder ihrem Cocktail zu.
Erleichtert schließe ich die Tür des Waschraums hinter mir und suche mir eine freie Toilette. Da in der Bar heute geschlossene Gesellschaft ist, ist der Frauenanteil sehr gering und ich habe den kompletten Raum für mich. Als ich mich schnell erleichtere, höre ich die Tür des Waschraums öffnen und gleich wieder schließen. Ein leises Klicken lässt mich vermuten, dass gerade jemand die Vordertür abgeschlossen hat. Ich ziehe mir hastig die Jeans hoch und reiße die Kabinentür auf, zum Angriff bereit. An die gekachelte Wand gelehnt, steht Eric und sieht auf den Boden. Der Ring um sein Auge hat schon erstaunliche Farben angenommen. Er trägt keinen Anzug, sondern Jeans, T-Shirt und Turnschuhe und passt damit überhaupt nicht ins Bild seines Teams, welches draußen vor der Tür vermutlich auf ihn wartet. Ich wasche mir seelenruhig die Hände und warte auf eine Reaktion von ihm, doch er steht nur da und rührt sich nicht. Als ich mich an ihm vorbeidrängen und die Türe wieder aufschließen möchte, hält er meinen Oberarm fest. Schon fast hysterisch befreie ich mich aus seinem Griff.
„Was willst du?“, schreie ich ihn an.
„Du hast mich geschlagen und dein Bruder hat mir eine verpasst. Reicht das, damit ich eine Chance bekomme, mich zu erklären?“ In einem Sekundenbruchteil drängt er mich an die Wand und atmet heftig an meinem Hals. „Was muss ich tun, damit du mir zuhörst?“
„Du hast mich so verletzt. Ich will es nicht hören“, antworte ich. Meine Stimme ist nicht so fest, wie ich es mir wünschen würde.
Eric legt seine Hände auf meine Hüften und streift mit seinen Lippen meine Wange.
„Die Nacht im Kino, darlin’. We made love. Do you remember?“, wispert er in mein Ohr.
Und wie ich mich erinnere. Deswegen tut es ja so weh.
„Eric, bitte. Tu das nicht“, flehe ich mit zittriger Stimme. Halbherzig versuche ich ihn von mir zu schieben, doch er keilt mich weiter ein.
„Nina, das ist mein letzter Versuch. Ich will es dir erklären. Ob du es glaubst, oder nicht, es gibt eine Erklärung und war nicht so, wie es für dich aussah. Ja, ich habe eine Tochter, aber alles Weitere würde ich dir gerne in Ruhe erklären. Nur nicht hier und nicht jetzt und auch nicht am Telefon. Ich will dir alleine gegenübersitzen und in die Augen sehen.“
„Du hast mich so verletzt“, flüstere ich.
Eric nimmt mein Gesicht in seine Hände und drückt mir einen Kuss auf den Mundwinkel.
„I know. Believe me, I know. I beg you, just think about it.” Nach einem weiteren Kuss auf meinen anderen Mundwinkel lässt er mich stehen und verschwindet wieder nach draußen. Meine Knie geben nach und ich sacke auf den kalten Fliesen zusammen. Zitternd und heulend findet Jule mich ein paar Minuten später und bringt mich nach Hause.
7.
Es ist inzwischen Anfang September und ich habe Eric seit zwei Wochen nicht mehr gesehen und auch nichts mehr von ihm gehört. Mein Verstand sagt mir, dass es besser so ist. Mein Herz sagt etwas anderes.
Jule sitzt neben mir auf dem Außengelände des Kindergartens. Wir beaufsichtigen unsere Gruppen und genießen einen Moment der Ruhe, wenn man den Geräuschpegel um uns einmal außer Acht lässt. Die Bäume lassen schon die ersten Blätter fallen, der nahende Herbst ist nicht mehr zu verleugnen.
„Hast du noch etwas von ihm gehört?“, fragt Jule. Sie muss seinen Namen nicht nennen, er ist der große rosa Elefant, der seit Wochen in jedem Gespräch mitten im Raum steht. Sowohl bei Jule als auch bei Thorsten. Mit meinem Bruder herrscht Waffenstillstand, von Frieden kann man noch nicht reden.
„Nein, er hat sich nicht mehr gemeldet.“
„Bist du glücklich damit, Nina.“ Jule hakt sich bei mir ein und legt ihren Kopf auf meine Schulter.
„Nein“, lautet meine knappe Antwort. Was soll ich auch noch dazu sagen? Es liegt mir nicht, solche Themen bis zum Erbrechen zu diskutieren. Das ändert
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