Eine zweite Chance für den ersten Eindruck (German Edition)
Schlüssel in die Wohnungstür stecke, piept mein Handy mit einer neuen SMS. Auf dem Weg in die Küche lese ich die Nachricht von Jule.
Ich bin so sauer auf dich. Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du an Weihnachten alleine bist. Jetzt sitze ich hier, bei einem Horrorfamilienessen, und komme nicht weg. Ich melde mich morgen. Jule
PS: Warum bist du nicht bei Eric?
Ich beschließe, die SMS erst mal zu ignorieren und hole mir nur einen großen Löffel aus der Küche. Mit Kuscheldecke und Eisbecher richte ich mich vor dem Fernseher ein.
Zwei Stunde später bin ich ein heulendes Häufchen Elend und muss schon fast über mein pathetisches Verhalten lachen. Der Tag ist einfach zu viel und irgendwie fühlt es sich doch nicht so gut an, alleine zu sein. Ich sehe das Weihnachtsgeschenk für Lucy, eingepackt auf der Kommode neben dem Fernseher, und frage mich, wann ich eigentlich geplant hatte, es ihr zu geben. Von dem Geschenk für Eric einmal ganz abgesehen, obwohl seins eigentlich kein richtiges Geschenk ist.
Mein Selbstmitleid geht mir auf die Nerven, also putze ich mir im Bad die Zähne, mit dem Ziel ins Bett zu gehen. Dieser Vorsatz wird jedoch durch das Sturmklingeln an meiner Tür unterbrochen. Jule wird doch wohl nicht von ihrer Familienfeier geflüchtet sein?
„Wer ist da?“, frage ich an der Sprechanlage.
„Eric!“, kommt es bestimmt aus dem Hörer.
Ich drücke ihm auf und stelle mich abwartend in die Tür. Wenige Sekunden später steht er vor mir, mit dicker Winterjacke und Pyjamahose.
Er sieht meine verheulten Augen und drückt mich an sich. Ich lasse mich in seinen Armen hängen und bin sehr froh, dass er hier ist. Er schiebt mich gleich wieder von sich und zeigt mit großer Geste einmal rund um meine Wohnung.
„Das hier wird nicht passieren“, sagt er mit energischer Stimme. „Du kommst mit mir. Und wenn ich dich über die Schulter schmeißen und hier raustragen muss.“
Mein Widerstand war doch schon gebrochen, bevor er überhaupt hier war.
„Kann ich wenigstens noch ein paar Wechselklamotten einpacken?“, frage ich kleinlaut.
21.
ERIC
Schon im Hotel, als ich sie zusammengekauert unter der Dusche gefunden habe, wusste ich, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Es ist etwas, was ich selbst lange genug gemacht habe. Der sinnlose Versuch, mit heißem Wasser menschliche Wärme zu imitieren. Mir war nicht bewusst, dass sie immer noch so sehr unter dem Tod ihrer Eltern leidet.
Der Gedanke, dass sie jetzt ganz alleine in ihrer Wohnung hockt und niemanden hat, macht mich wahnsinnig. Ich wälze mich seit einer Stunde im Bett hin und her, bevor ich beschließe, einfach aufs Ganze zu gehen und sie mit sanfter Gewalt zu mir zu holen.
Ich schlüpfe in meine Jacke und Schuhe und klopfe bei meinen Eltern, um ihnen das Babyfon zu geben. Meine Mutter nickt nur wissend. Sie hat mir heute schon die Hölle heißgemacht, weil ich es nicht geschafft habe, Nina zu überreden, mit uns zu feiern.
Ich fahre durch die ausgestorbene Innenstadt und komme in Rekordzeit bei ihrer Wohnung an. Von der Straße aus kann ich sehen, dass noch Licht brennt.
Zum Glück drückt sie mir gleich die Tür auf. Ich hoffe, sie ist nicht zu sauer über meinen Auftritt.
Als ich sie wie ein Häufchen Elend und mit verheulten Augen, im Türrahmen stehen sehe, weiß ich, dass ich das Richtige getan habe.
Es ist erst sechs Uhr am Morgen, aber ich bin schon seit einer Stunde wach und beobachte den schlafenden Engel neben mir. Es ist noch stockdunkel draußen, doch Lucys kleines Nachtlicht aus dem Badezimmer spendet gerade genug Licht, um sie ansehen zu können. Ihr halbes Gesicht ist in ihren kupferfarbenen Locken vergraben und sie lächelt im Schlaf. Ob sie das auch macht, wenn sie nicht neben mir liegt?
Sie hat die Bettdecke zwischen ihren Schenkeln eingeklemmt und ein Teil ihrer Pobacken guckt unten aus ihren Shorts raus. Meine Finger zucken vor Verlangen, die feine Spur Sommersprossen auf ihren Oberschenkel nachzuzeichnen. Doch die Erfahrung hat mir gezeigt, dass der kleinste Kontakt zwischen uns sehr schnell in etwas nicht Jugendfreies umschlägt. Sie ist so verdammt empfänglich für meine Berührungen. So gerne ich dem jetzt auch nachgeben würde, die Chance das Lucy jeden Moment hier rein platzt, ist einfach zu groß. Außerdem kann ich Nina gerade einfach nicht aus dem Schlaf reißen. Sie war so erschöpft gestern Nacht und hat dennoch viel zu lange gebraucht, um in meinen Armen zur Ruhe zu
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