Eine zweite Chance
das nicht herrlich? Jetzt kommt vielleicht endlich ein bisschen Frühling.«
»Das wird noch dauern, noch haben wir nicht alles von diesem Winter gesehen. Es wird bestimmt bald wieder schneien.«
Helena goss Milch in den Kaffee und legte ein Zuckerstück hinein, so wie Anna-Karin es gerne mochte. Sie setzten sich an den Tisch, Anna-Karin rührte in ihrer Tasse.
»Ja, nun ist sie also weg.«
Helena nickte. Sie hatte nur vage Erinnerungen an Helga Andersson, hatte sie als eine wortkarge und emsig arbeitende Person im Gedächtnis, ziemlich uninteressiert an Anna-Karin, obwohl die Nichte viel Zeit auf dem Hof verbracht hatte.
»Jetzt gehört das Haus endlich dir, darauf hast du doch all die Jahre gewartet.«
Anna-Karin schnaubte. »Das werden wir noch sehen. Ich könnte wetten, dass Lisbeth Probleme macht, jetzt, da wir endlich das Erbe teilen werden. Und Lasse, dieser Pantoffelheld, wird wohl wie gewöhnlich nicht widersprechen.«
Lisbeth war die Schwägerin, die Anna-Karin nicht ausstehen konnte. Helena hatte nie richtig begriffen, wie der Konflikt begonnen hatte, und hütete sich auch sorgfältig davor, sich einzumischen.
»Das weißt du ja noch nicht, es gibt doch wohl nicht viel Grund zum Streiten. Man muss nur das Grundstück in der Mitte teilen, und für den Stall hast du doch kaum eine Verwendung, wenn Lasse ihn nun haben will.«
»Sag das nicht.«
»Was hast du denn damit vor?«
»Ja, es ist ja ein feiner Stall, man weiß nicht, ob man irgendwann in der Zukunft Verwendung dafür hat. Nein, diese Erbteilung wird nicht so einfach sein, wie du glaubst.« Anna-Karin ging zum Fenster und öffnete es einen Spalt weit, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch hinaus. »Aber es ist nicht der Stall, an den ich in erster Linie denke. Es ist die Kastanie.«
»Welche Kastanie?«
Anna-Karin nickte zu ihrem Hof hin. »Aber Herrgott nochmal, das kann dir doch nicht entgangen sein. Die zwischen den Häusern, der große Baum. Es heißt, es sei die einzige Kastanie, die es hier so weit im Norden gibt. Sie steht genau in der Mitte, ich habe es einmal mit dem Zollstock abgemessen, als sie nicht zu Hause waren. Aber sie soll künftig auf meinem Grundstück stehen, das ist ein für alle Mal sicher, da werde ich niemals nachgeben.«
Helena stand auf, stellte ihren Becher in die Spülmaschine und sah aus dem Fenster, um den großen Baum zu betrachten. In perfekter Symmetrie streckten sich die Äste zu den Wohnhäusern hin, wie in einem vergeblichen Versuch, eine Verbindung zu schaffen.
»Aber spielt das eine Rolle? Man sieht ihn doch nicht weniger, wenn er auf Lasses Grundstück steht.«
»Er soll auf meinem stehen, so ist es nun mal.«
Manchmal konnte Helena Anna-Karins Schwarzseherei nicht mehr ertragen. Es war, als würde sie sich von Konflikten nähren und sich deshalb keine Gelegenheit entgehen lassen, neue zu schaffen. Aber Helena hielt sich mit Kritik zurück. Die Erneuerung ihrer Freundschaft als Erwachsene hatte eine Umkehrung der Machtpositionen mit sich gebracht, von der keine von ihnen so recht wusste, wie sie damit umgehen sollte. Helena ahnte, dass Anna-Karin sich manchmal unterlegen fühlte. Das zeigte sich an kleinen Nadelstichen von Boshaftigkeiten, die ein Außenstehender möglicherweise als Scherze empfand, von denen Helena jedoch glaubte, dass sie die Balance zwischen ihnen ausgleichen sollten. Trotzdem war sie dankbar dafür, dass Anna-Karin da war, zum einen als eine von wenigen Freundinnen, aber auch als wertvolle Arbeitskraft. Besonders während der Hochsaison im Sommer. Anna-Karin war wegen Nackenschmerzen Frührentnerin auf Halbzeit, aber die restliche Zeit deckte gut Helenas Bedarf an Hilfe. Wenige würden den Lohn akzeptieren, den sie zu bieten hatte. Und auch dadurch hatte Anna-Karin sich eine Überlegenheit verschafft, die sich auf Helenas Dankbarkeitsschuld gründete.
Anna-Karin zog das Fenster zu und warf die Kippe in den Mülleimer. Helena verfolgte ihre Bewegungen.
»Wie kam es eigentlich, dass Helga den Hof geerbt hat und nicht deine Mutter?«
Anna-Karin zuckte die Achseln. »Papa bekam stattdessen Wald. Helga war ja elf Jahre älter und diejenige, die auf dem Hof blieb, als Vater beim Straßenbauamt anfing. Als ich ganz klein war, wohnten wir in dem Haus, in dem Lasse jetzt wohnt, aber dann zogen wir in das Haus hinten bei der Kirche. Du weißt, wo ich wohnte, als du früher hier warst. Ich mochte dieses Haus nicht. Vater starb ja schon früh, und als Mutter ihm dann
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