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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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ich den Traum, irgendwann von meiner Kunst leben zu können, eines Tages ein angesehener Maler zu sein. Dieser Traum hat mich durch viele schwere Tage und Nächte getragen, wenn die Muskeln schmerzten.« Er seufzte und stemmte seine Hände ins Kreuz, richtete sich mit einer Grimasse auf. »Aber man muss vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht, denn es kann sein, dass es in Erfüllung geht.« Verner betrachtete sein Gemälde, kniff die Augen zusammen und tippte mit seinem kleinen Finger auf einen Fleck, an dem die Farbe klumpig war, gleich neben der Eingangstür des einen Hauses. »Bei mir dauerte es zwanzig Jahre. Aber dann hatte ich meinen Durchbruch nach einer Kunstausstellung in New York. Ich wohnte damals da drüben, und meine Bilder waren so gefragt, dass ich nicht in dem Takt liefern konnte, in dem sie sich verkauften. Es gab eine ewige Quengelei von den Galerien, ich malte, so schnell ich konnte, und wurde dabei ziemlich reich. Aber das Seltsame war, je besser es lief, desto größer wurde meine Angst, alles zu verlieren. Es gefiel mir, mich erhaben zu fühlen, bewundert zu werden und eine besondere Behandlung zu genießen. Endlich war ich jemand. Ich mühte mich also ab und nahm neue Aufträge an, malte immer mehr Dinge, von denen ich glaubte, dass die Leute sie haben wollten, und benutzte spezielle Techniken, um die Kunstkritiker zu beeindrucken. Ich malte und malte und wurde schlechter und schlechter, aber die Bilder verkauften sich wie verrückt. Solange meine Signatur in der Ecke stand, schien niemand zu sehen, wie schlecht sie waren. Doch zum ersten Mal in meinem Leben fing ich an, es langweilig zu finden. Ich musste mich zur Staffelei zwingen, das Einzige, was mich antrieb, war diese Angst, alles zu verlieren. Die Macht der Eitelkeit ist größer, als man denkt, also hielt ich ein paar Jahre durch, bis ich es eines Tages nicht mehr aushielt. Ich hatte meine Fähigkeit verloren, wirklich zu sehen. Aber die Lust am Malen zu verlieren, bedeutete, die Fähigkeit zum Atmen zu verlieren. Es war, als wäre ich meines Lebens beraubt worden.« Verner schraubte die Leinwand von der Staffelei ab, stellte sie auf den Rucksack und lehnte sie an sein rechtes Bein. »Es sind fünfunddreißig Jahre vergangen, seit ich ein Bild verkauft habe, aber wenn Sie nur wüssten, wie viel Spaß es nun wieder macht zu malen.«
    Eine Tür schlug drüben im Hotel zu. Das Geräusch brachte beide dazu, sich umzudrehen, und gleich darauf tauchte Emelie auf, eilig ging sie hinunter zur Landstraße. Sie grüßte, und die beiden winkten zurück, Anders noch in Gedanken daran, was Verner erzählt hatte. Das letzte Stück musste sie rennen, als der Bus sich näherte. Sie standen beide still da und sahen, wie er an der Haltestelle auf sie wartete. Als die Tür sich schloss, klappte Verner seine Staffelei zusammen. »Um dieses Mädchen muss man sich Sorgen machen.«
    Anders wurde aus seinen Gedanken gerissen. »Wie meinen Sie das?«
    Aber auf einmal sah Verner verlegen aus. Zum ersten Mal wich sein Blick ihm aus, und mit raschen Bewegungen streifte er den Rucksack über. Die Staffelei legte er über die Schulter, und das Bild nahm er in die andere Hand. Er nickte zum Abschied und ging mit bestimmten Schritten davon. Anders blieb stehen, verdutzt über Verners abrupten Aufbruch. Der Abstand zwischen ihnen wuchs, und alles, was er fragen wollte, kam zu spät. Auf halbem Weg zum Wald verlangsamte Verner plötzlich seine Schritte, machte kehrt und ging zurück. Je näher er kam, desto größer wurde Anders’ Erwartung. Es waren ungefähr zehn Meter zwischen ihnen, als Verner stehenblieb.
    »Ich mache das dem Mädchen zuliebe und für niemanden sonst. Ich hätte gestern etwas sagen sollen, aber mir fehlte der Mut. Sie können Helena einen schönen Gruß ausrichten, sie soll im Lauf des Tages vorbeikommen, denn dieses Mädchen braucht Hilfe.«
    Das war alles, was er zu sagen hatte, denn nach diesen Worten drehte er sich um und ging wieder davon. Die vielen Fragen, die in Anders rumort hatten, gerieten ins Stocken. Verblüfft blieb er stehen, die Arme an den Seiten herabhängend. Lange stand er so da und sah, wie Verner den Acker verließ und an dem Platz vorbeikam, an dem er einmal mit dem Auto angehalten hatte, um die Schmerztabletten zu nehmen. Er sah ihn den Kiesweg entlanggehen, vorbei an der Wiese, an der er selbst einmal geparkt hatte. Und schließlich, wie einen Punkt in weiter Ferne, sah er ihn zwischen den Bäumen

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