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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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erhöhte Tonlage ängstigte sie. Vielleicht spürte Anders das, denn er kam ihr zu Hilfe. »Nur mit der Ruhe, Verner, es gibt keinen Grund, zornig zu werden. Sie verstehen doch, dass Helena beunruhigt ist, nach dem, was Sie gesagt haben.« Sie spürte seinen Arm im Rücken und war dankbar, dass er bei ihr war. Verner schien sich wieder zu entspannen und beugte sich vor, die Ellenbogen auf den Knien und die Hände gefaltet.
    »Ich muss das in meinem eigenen Tempo erzählen.« Die Katze strich um seine Füße, und er hob sie auf den Schoß. »Ich bin zornig geworden, weil es eine Zeit gab, in der man mir so viele dumme Dinge vorgeworfen hat, dass ich wohl etwas überempfindlich geworden bin.« Die Katze schnurrte und legte sich auf seinem Schoß zurecht. Verner strich ihr mit der Hand über den Rücken. Dann begann er zu erzählen, mit langen Gedankenpausen. »Wie gesagt, ich wurde in einem Dorf geboren, das diesem nicht unähnlich war, aber das ist ja lange her, vieles war damals anders. Oder auch nicht, wenn man es genauer bedenkt.« Er gab ein Schnauben von sich, oder vielleicht war es ein Seufzer. »Ich hätte ein normaler Bauernjunge sein sollen, aber ich habe schon ziemlich früh verstanden, dass ich anders bin. Nicht einmal in meine eigene Familie habe ich hineingepasst. Manchmal dachte ich, die anderen seien verrückt, aber ziemlich bald habe ich begriffen, dass mit mir etwas nicht stimmte.«
    Die Unruhe stieg in Helenas Brust hoch. Es stimmte, was Anna-Karin behauptet hatte. Etwas war nicht normal, und jetzt hatte es Emelie getroffen.
    »Erst haben sie gesagt, ich hätte eine lebhafte Phantasie. Dann haben sie behauptet, ich würde lügen und Dinge erfinden. Ich wurde traurig und zornig, und es gab keinen einzigen Menschen, den ich um Rat fragen konnte. Die Welt erschien mir immer sonderbarer. Für mich war es ja genauso deutlich wie die Wärme dieser Katze oder dass ich die Tür dahinten sehe. Aber alle wollten mich davon überzeugen, dass ich mir das nur einbilde.« Er verstummte für eine Weile, und das Schnurren der Katze war das Einzige, was zu hören war. Helena spürte die Wärme von Anders’ Arm, sie war ihm unendlich dankbar, dass er sie begleitet hatte.
    »Aber ich, dumm wie ich war, beharrte darauf. Und als sie eingesehen haben, dass es stimmte, hatten sie stattdessen Angst vor mir. Sie waren außer sich vor Sorge darüber, dass jemand im Dorf merken würde, was mit mir los war, und mir wurde verboten, den Hof zu verlassen. Wenn jemand zu Besuch kam, musste ich mich verstecken.« Er senkte den Blick und schaute zu Boden, sichtlich gequält von den Erinnerungen. »Ihr könnt es euch ja selbst vorstellen, ein Kind, das Farben rings um die Menschen sieht, in einem kleinen Dorf, in dem nichts andersartig sein durfte.«
    Die plötzliche Wendung ließ seine Bekenntnisse in eine ganz andere Richtung gehen, als Helena vermutet hatte. »Was für Farben?«
    Verner sah zum Fenster hin. »Wir werden geboren, wie wir sind, mit verschiedenen Mängeln und Fähigkeiten, manche offensichtlicher als andere. Einige werden mit dem absoluten Gehör geboren, andere mit einem fotografischen Gedächtnis. Ich bin mit dem geboren, was man Synästhesie nennt. Es ist eine Menge darüber geforscht worden, aber man weiß nicht, woher es kommt, nur, dass unsere Gehirne anders arbeiten.« Er kraulte die Katze unter dem Kinn. »Es ist eine Art Überlappung der Sinne. Das, was ein Sinn wahrnimmt, wird auf einen anderen übertragen. Manche verbinden Farben mit verschiedenen Buchstaben oder Wörtern. Andere nehmen verschiedene Arten von Geschmack wahr, wenn sie Musik hören. Bei einer Frau, von der ich las, brannte es auf der Haut, wenn sie auf ein kariertes Muster blickte, ein anderer spürte einen Zug an den Fußgelenken, wenn er eine Gitarre spielen hörte.«
    »Sie haben also eine Art Gabe, Farben um die Leute herum zu sehen?«
    »Ich weiß nicht, ob man es Gabe nennen kann. Oft in meinem Leben hat es sich wie ein Fluch angefühlt.« Verner tat einen tiefen Atemzug, sodass die Katze sich erhob. Er strich ihr mit langen, ruhigen Bewegungen über den Rücken. »Leg dich nur hin, du kleine Mieze, du weißt das ja schon alles.«
    »Ich verstehe nicht, was das mit Emelie zu tun hat?«
    Ihre Stimme war spitz, von Argwohn geprägt. Verner stand auf und setzte die Katze behutsam auf den Stuhl. Sie warf ihm einen missgelaunten Blick zu und sprang auf den Boden hinunter, mit hoch erhobenem Schwanz trippelte sie davon. Verner ging zum

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