Einem Tag in Paris
ist berauscht von Marilyn.
»Wir standen alle da, an der Gepäckausgabe, und zuerst fällt ein Schuh herunter – kein Koffer, sondern ein einzelner Schuh. Er fuhr auf dem Gepäckband einmal im Kreis, und alle sahen zu. Als er zum zweiten Mal an mir vorbeifuhr, erkannte ich ihn. Der marineblaue Schuh meiner Mutter. Irgendjemand lachte. Ich schnappte mir den Schuh und klemmte ihn mir unter den Arm, irgendwie verlegen. Und dann fiel ein Schlüpfer die Rampe herunter – allen Ernstes –, der geblümte Schlüpfer meiner Mutter. Der, den ich aus ihrer Schublade ausgewählt hatte, um sie darin beerdigen zu lassen. Dann ihre Bluse. Eine pfirsichfarbene Seidenbluse, die sie zu besonderen Anlässen trug. Die Bluse schwebte fast herunter, als würde sie von einem gottverdammten Geist getragen werden. Ich schnappte mir jedes Kleidungsstück und klemmte es mir unter die Arme. Ihren BH . Stellen Sie sich vor: Alle sahen mir zu. Ihr rosenfarbener BH , Körbchengröße C, purzelte herunter. Mein Vater entfernte sich. Schließlich fiel mein Koffer die Rampe herunter, er war halb offen, und Kleidungsstücke quollen aus ihm hervor. Ich schnappte mir den Koffer und begann, alles wieder hineinzustopfen.«
Josie weint, Tränen laufen ihr übers Gesicht, sie kann sie nicht aufhalten. Nico zieht sie an sich und hält sie. Sie lässt es zu. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, aber sie kann sie einfach nicht aufhalten.
Simon ist nicht mehr da.
»Ich habe auf der anderen Straßenseite in meinem Wagen gesessen. Ich habe gewartet, bis dein Vater gegangen ist.«
Josie streckte eine Hand aus und legte sie auf Simons Brust.
»Ich wollte am liebsten zu ihm hingehen und sagen: ›Ich bin Josies Freund. Sie braucht nicht noch einen Freund.‹«
»Aber das stimmt nicht. Du bist nicht mein Freund. Du bist jemands Ehemann. Du bist der Mann, den ich mir heimlich stehle, um Sex mit ihm zu haben. Du bist der Grund, weshalb ich nicht einmal mehr mit meiner besten Freundin reden kann.«
»Sag das nicht.«
»Ich kann meinem Vater den einen Wunsch, den er hat, nicht erfüllen.«
»Ich weiß, Josie. Deswegen habe ich die letzten zwei Stunden in meinem Wagen gesessen.«
»Heute Abend ist Bradys Aufführung. Sie beginnt in einer Stunde.«
»Ich kann da nicht hinfahren.«
»Das hier kann warten. Brady kann es nicht.«
»Ich kann dir nicht mehr geben als das hier.«
»Ich weiß. Ich verlange nicht mehr.«
»Du verlangst einen Mann, den du deinem Vater vorstellen kannst.«
»Warum bist du hier? Was willst du?«
»Ich will dich.«
»Der Regen hat aufgehört«, sagt Nico. »Gehen wir Mittag essen.«
Josie findet ein Taschentuch in ihrer Handtasche und wischt sich das Gesicht ab. Sie hat aufgehört zu weinen, aber sie leidet noch immer. Als sie das mit Simon erfuhr, als Whitney sie an jenem Samstagmorgen anrief und ihr sagte, sie solle den Fernseher einschalten, da konnte sie nicht weinen – oder schreien oder toben. Sie saß wie erstarrt vor ihrem Computer, las bei Google die Nachrichten und versuchte, alles über den Absturz eines kleinen Flugzeugs zu erfahren, das in den Bergen in der Nähe von Santa Barbara zerschellt war. Das Telefon klingelte immer wieder, ohne dass sie abnahm. Später waren auf ihrem Anrufbeantworter dutzende Nachrichten anderer Lehrer, einiger Mitschüler von Brady, sogar eine lange, schluchzende Nachricht von Glynnis Gilmore. Sie hatte sich am Premierenabend in Brady verliebt, sagte sie.
Jetzt hat eine lächerliche Erinnerung an den Tod ihrer Mutter sie aus der Balance geworfen. Und der französische Privatlehrer ist auf seinem weißen Pferd angaloppiert gekommen.
Sie verlassen das Museum in aller Eile, wie verfolgt von Marilyns hungrigen Blicken. Der Junge an der Kasse sieht nicht einmal auf, als sie gehen.
»Ich kenne ein Restaurant.« Nico nimmt ihren Arm und führt sie rasch die rutschigen Großstadtstraßen entlang. Die Sonne spiegelt sich in Pfützen und auf nassen Autos; Josie kramt in ihrer Tasche nach ihrer Sonnenbrille. Sie hat die Orientierung verloren, und ihr Verstand schwimmt in zu vielen dunklen Löchern: ihre Mutter, Simon, Marilyn. Sie muss dringend an die Oberfläche schwimmen, um nach Luft zu schnappen; ihre Lungen platzen fast vor Anstrengung.
»Voilà«, verkündet Nico, als hätte er dieses Restaurant an der Ecke selbst erschaffen, als wäre er verantwortlich für seine entzückenden gelben Wände, die hellblauen Tischdecken, die Fülle von Blumen. Er hat sie in die Provence
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