Einem Tag in Paris
Mutter – nein, Mom, du bist hier nicht mit von der Partie! –, während sie angestrengt versucht, mit Philippes langen Schritten mitzuhalten.
Der Himmel verdunkelt sich so plötzlich wie eine totale Sonnenfinsternis, und dann, unter Blitzen und Donnern, als würde Gott brüllen: Schlag dir auf der Stelle den Sex aus dem Kopf!, öffnen sich die Schleusen des Himmels. Philippes Griff um Rileys Arm verstärkt sich, und er führt sie unter das Vordach eines Eckrestaurants. Im nächsten Augenblick drängt sich eine Menschenmenge unter der winzigen Markise zusammen, und sie werden eng aneinandergedrückt.
In der Menge werden Ahs und Ohs laut, als wäre das Ganze ein inszeniertes Schauspiel. Riley kann die Straße kaum noch sehen, zwischen so vielen Leuten sind sie eingezwängt. Irgendjemand riecht, als hätte er Haferbrei mit Knoblauch zum Frühstück gegessen; jemand anders hat Schluckauf, und bei jedem seiner Atemzüge scheint ein Ruck durch die ganze Menge zu gehen. Riley spürt ihr Herz rasen – sie ist sich nicht sicher, ob es an dem Drama im Himmel oder an Philippes Arm liegt, der sich in ihre Brust presst. Und ausnahmsweise einmal muss sie nichts sagen. Das hier versteht sie: Das ist das Wetter, und es ist wild. Kein Grund für einen Kommentar. Nimm es einfach in dich auf.
Riley erinnert sich an einen Campingurlaub mit Vic in Vermont – vor den Kindern, vor der Ehe –, als sie mitten in der Nacht von einem Sturm geweckt wurden, der so laut auf ihr Zelt hämmerte, dass sie wussten, dass Hagel dabei sein musste, ein irrsinniger, mittsommerlicher Hagelsturm. Riley begann zu zittern, auf einmal überzeugt, dass der dünne Stoff reißen und sie beide unter den Eisklumpen umkommen würden. Vic kletterte über sie, und im nächsten Augenblick hatten sie ihre Schlafsäcke aufgezogen und ihre Kleider abgestreift, und ihre Körper hämmerten aufeinander ein, während sie so wilden, hemmungslosen, ungezähmten Sex hatten wie noch nie. Danach hatte auch der Hagelsturm aufgehört, und sie lagen keuchend da und starrten im Dunkeln auf das Dach des Zelts, Seite an Seite, ihre Hände umklammernd. Sie sprachen danach nie darüber, als würden sie sich irgendwie dafür schämen, wie sie übereinander hergefallen waren. Jetzt fragt sich Riley: Was bräuchte es, um Vic zu mir zurückzuholen?
Ein Donnerschlag, und Riley versetzt sich auf eine Transatlantikreise zurück von Vermont nach Paris, von Vic zu dem französischen Privatlehrer, von dem Geruch von Kiefern zu dem Geruch von nasser Wolle. Der Regen hört so unvermittelt auf, wie er begonnen hat. Der Himmel klart auf. Die Menge rührt sich nicht, als sei sie noch nicht bereit für das Ende der Vorstellung. Niemand spricht ein Wort. Riley rechnet fast mit einem Ruf: »Zugabe!« Aber schließlich lösen sich die ersten Leute aus ihrer engen kleinen Versammlung, dann die nächsten, und dann löst sich auch Philippes Arm von ihrer Brust. Sie hängt ein bisschen durch – nicht ihre Brust, die in einem amerikanischen Doppel-D- BH mit Formbügeln und breiten Riemen fest eingeschnürt ist –, ihr ganzer Körper fühlt sich ein bisschen postorgastisch an. Die Vorstellung ist vorbei.
Philippe sieht sie an. Sie fühlt sich ihm jetzt näher, als hätten sie irgendetwas miteinander geteilt. Und zu ihrer Freude sagt er nichts. Er legt diese wundervolle Hand um ihren Oberarm und führt sie weiter.
Auf den Gehwegen herrscht dichtes Gedränge, alle sind wieder unterwegs, und die Straßen der Stadt glitzern von dem Licht, das sich in den Pfützen spiegelt. Riley denkt an Cole und seine neuen grünen Gummistiefel mit den Froschaugen auf den Schuhspitzen – er sollte jetzt zum Place des Vosges platschen, anstatt mit Fadwas oder Fatahs oder Faduls Mutter vor dem Fernseher zu sitzen. Böse Mama! Und heute Abend, wenn er will, dass Daddy ihn zu Bett bringt, wird sie ihm erklären müssen: Es sind nur du und ich da, Schatz.
Aber keine Zeit für Kinder! Ich bin unterwegs zu einem Pariser Abenteuer! Es geht nur um mich-mich-mich!
Wie seltsam, dass sich ein Mensch in einer Stadt, einer Familie, einer Ehe verlieren kann. Wie seltsam, dass sie sich nie einsam fühlte, als sie all die Jahre allein in New York gelebt hat, sich aber jetzt, eingeschnürt in das ordentliche Paket der Kernfamilie, als Mitglied jeder verdammten Gruppe von Amerikanern, die es in Paris gibt – jeder Müttergruppe für englische Muttersprachler, jeder Ehefrauengruppe für Auslandsamerikaner –, wie ein Kind
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