Einem Tag in Paris
lassen.
Er schlägt sein Buch auf einer Seite auf, auf der ein Haus abgebildet ist. Bilder mag sie. Bilder kann sie verstehen. Sie kommt sich wie Cole vor, der gebannt zusieht, während Papa den Text dazu vorliest. Wenn Philippe noch lange so weitermacht, wird sie irgendwann ihre Kuscheldecke und ein Nickerchen brauchen.
Philippe hört auf zu reden und zeigt auf das Bild eines Schlafzimmers. Er zeigt genau auf das Bett! Ja, will sie sagen: Gehen wir!
Aber sie sagt: »Lit.« Erstaunlich. Wenn es darauf ankommt, fallen ihr die Wörter ein. Die wichtigen Wörter.
»Le lit«, sagt Philippe.
Wen zum Teufel interessiert das denn? Feminin, maskulin. Riley blickt auf. Philippe sieht sie an. Warum hat sie dieses dämliche Grinsen im Gesicht, nur weil sie ein Bett ansieht? Na ja, sie hat nicht die geringste verdammte Chance, das erklären zu können.
»Où est le lit?«, fragt sie.
»Dans la chambre«, sagt Philippe.
»Où est la chambre?«, fragt sie.
Er sieht sie an. Freut er sich so, weil sie ein einfaches Gespräch führen oder weil sie über Sex reden?
Niemand redet über Sex, ruft sich Riley in Erinnerung. Er liegt nur in der Luft, driftet zu ihr herüber.
»Dans la maison«, sagt Philippe.
»Wo ist Ihr maison?«, fragt Riley.
»En français«, sagt Philippe.
»Ich weiß, dass es in Frankreich ist. Wo in Frankreich?«
Er schüttelt den Kopf. Aber er lächelt noch immer. Er hat ein paar Knöpfe an seinem glänzenden Hemd offen gelassen. Riley kann sehen, dass er eine jungenhafte Brust hat, unbehaart und mager.
Sie hat Vic noch nie betrogen. Sie hat einmal einen Mann begehrt, der in der Kunstabteilung ihrer PR -Firma arbeitete, und sie erzählte Vic davon, und Vic erzählte ihr, er würde eine Frau begehren, die in der Finanzabteilung seines Unternehmens arbeitete, und damit war die Sache erledigt. Wie du mir, so ich dir. Na ja, sie hoffte, dass die Sache für ihn damit erledigt war. Für sie war sie mit Sicherheit erledigt.
Betrügt Vic sie jetzt? Trifft er wirklich Tag und Nacht rund um die Uhr langweilige französische Geschäftspartner? Sie hat ihn einmal danach gefragt –, mitten beim Abendessen, als sie zusammen ausgingen – und er sagte: »Mein Gott, Riley. Können wir nicht einmal einen Abend ausgehen, ohne dass du ihn uns verdirbst?«
Auf einmal sah sie sich selbst als Hexe, als die Art Frau, über die sich ein Ehemann vor seinen Kumpels im Büro beklagte. War sie vor ein paar Jahren nicht die Sirene gewesen, die Frau, mit der Vic geprahlt hatte? »Meine Frau liebt Sex«, hatte er einmal zu einem Freund von ihnen gesagt. »Glück im Bett«, hatte der Freund erwidert. Danach flüsterte Riley Vic jedes Mal, nachdem sie sich geliebt hatten, ins Ohr: »Glück im Bett.« Und dann schlief er mit einem Lächeln im Gesicht ein.
Dieses Lächeln hat sie schon lange nicht mehr gesehen.
»J’habite près du Centre Beaubourg«, sagt Philippe.
Sie hat ihn verstanden! Das Pompidou-Center! Aber sie nennen es irgendwie anders, so, wie er es gesagt hat. Sie erinnert sich, wie sie im obersten Stockwerk des Museums stand, über die Dächer von Paris hinaussah und sich dachte: Alle anderen haben ein wundervolles Leben. Sieh dich um. Charmante Dachwohnungen, Sex in einem Einzelbett, der Geruch von Bouillabaisse und Haschisch, der durch die Luft zieht.
Jetzt weiß sie es: Philippe ist einer von diesen Leuten.
Ich hatte ein wundervolles Leben, will sie sagen. Sie erinnert sich an die Abschiedsparty, die ihre Freunde für sie gaben, ein paar Wochen, bevor sie nach Paris zogen. Sie und Vic trugen dieselben Baskenmützen und gestreiften Hemden (ihres straff gespannt über einem schwangeren Bauch). Mitten auf der Party trugen sie einen Fechtkampf mit Baguettestangen als Waffen aus. Sie waren erwachsene Kinder, die zu einem großen Abenteuer aufbrachen. »Wirst du dort drüben nicht einsam sein?«, hatte eine Freundin sie gefragt. »Nicht mit Vic und Cole und dem kleinen Würmchen. Außerdem ist es doch Paris«, hatte sie geantwortet.
Das Wundervolle entgleitet ihr, Tag für Tag mehr. Selbst gestern ging es ihr wundervoller als heute. Gestern hatte ihre Mutter keinen Krebs. Riley hat ihren Verstand in einem Gewirr von Gedanken verloren, und Philippe hat ihr eine Frage gestellt.
Sie lächelt.
Er wiederholt die Frage.
Sie schüttelt den Kopf. »No comprendo.«
»Je ne comprends pas«, verbessert er sie.
Warum soll sie sich die Mühe machen zu erklären, dass das eine englische Redensart ist – na ja, nicht
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