Einem Tag in Paris
sondern irgendwie schrill und weinerlich. Auf Englisch ist er nicht sexy. Um genau zu sein, ist er auf Englisch Philip. Einen Philip würde sie niemals vögeln.
»Ich habe die Kinder bei mir, Philippe. Das echte Leben und das alles.«
»Oh.«
Sie denkt an seinen Penis, der in der Luft über ihr baumelte. Sie rammt mit dem Kinderwagen um ein Haar eine Straßenlaterne, aber Cole brüllt: »Maman!« Seltsam. Auf der Straße nennt Cole sie Maman. In ihrer Wohnung nennt er sie Mama. Wie kann ein Zweijähriger ein solch komplexes Terrain beherrschen?
»Entschuldige, Schatz.«
»Du musst dich nicht entschuldigen«, sagt Philippe.
»Ich habe mit …«
»Bring die Kinder mit. Am Kai wird ein Film gedreht. Irgendeine berühmte amerikanische Schauspielerin ist da. Wir können zusehen, wir alle zusammen.«
Eine schnelle Nummer – na schön, zwei –, und er schafft eine neue Kernfamilie, denkt Riley. Lassen wir das Ding schmelzen, bevor es gefährlich wird.
»Hör zu, Philippe …«
»T’es belle. T’es magnifique, chérie.«
»Okay«, sagt Riley. Sie schüttelt den Kopf. In irgendeinem fernen Land schreien ihre alten Freundinnen sie an: Du erbärmliche Idiotin! »Wo?«, fragt sie.
Er nennt ihr eine Adresse und flüstert irgendetwas auf Französisch. Und schon ist er wieder ihr sexy Liebhaber.
Aber sie will keinen sexy Liebhaber! Sie will nur jemanden, der in Paris an ihrer Seite geht, jemanden, der größer als einen Meter ist.
Sie führt die Kinder zur nächsten métro-Station, während sie sich bereits das Gehirn zermartert, wie sie aus diesem Schlamassel wieder herauskommt.
Cole hat die métro früher geliebt, hat Riley immer zu den geschwungenen grünen Torbogen gezerrt, die sie in die Unterwelt der schnellen Züge und leuchtenden Reklametafeln lockten. Er hat den Leuten zugesehen, die von einem Waggon zum nächsten zogen und Reden hielten, Gitarre spielten, mit Bällen jonglierten, ein ganzer durchgeknallter unterirdischer Zirkus.
»Was sagt er, Maman?«, fragte er immer, wenn der Obdachlose am vorderen Ende des Waggons stand und seinem unfreiwilligen Publikum irgendeine Geschichte vortrug.
»Ich weiß nicht«, sagte sie dann wahrheitsgemäß.
Dann, als sein Französisch besser wurde, verstand er die schrecklichen Geschichten: Meine Damen und Herren. Meine Frau hat sich das Bein gebrochen. Unsere Wohnung hat keine Heizung. Meine ältesten Kinder frieren, und das jüngste hat eine seltene Krankheit. Ich kann nicht mehr arbeiten gehen, weil mein Kind im Krankenhaus liegt. Dann vergrub Cole immer sein Gesicht in Rileys Jacke, verbarg seine Tränen, voller Sorge, das Kind im Krankenhaus könnte sterben und der Mann nie wieder Arbeit bekommen und die arme maman nicht wieder laufen. »Wir werden dem Mann Geld geben«, sagte Riley dann, als würde ein Euro die Probleme der Welt lösen.
»Wir müssen die métro nehmen«, sagt Riley jetzt zu Cole, während sie ihn hinunter in die Unterwelt des Elends und Leidens zieht. Wir müssen meinen Liebhaber treffen, wird sie nicht sagen, aber sie drückt Cole eine Hand ins Kreuz, und er ist ein solch artiger Junge, dass er folgsam die Stufen hinunter, hinunter, hinunter und zu ihrem eigenen persönlichen Satan läuft.
Gott sei Dank werden in der métro heute keine Reden geschwungen, nur ein Junge führt irgendeine Art Breakdance auf – auch wenn Riley glaubt, dass man das heutzutage anders nennt. Sie ist schon jetzt zu alt für die neuesten Trends. Cole klatscht in die Hände, als der Junge fertig ist, und Riley kramt einen Euro aus ihrer Tasche, damit Cole ihn dem Jungen in seine schmutzige Hand drücken kann.
Gabi steckt den Kopf aus dem Tragetuch, sieht sich die Welt an. Sie ist ein stilles Baby, und Riley liebt sie dafür. Sie liebt das Gewicht des Babys, an ihre Brust gedrückt, den Geruch ihrer puderartigen Kopfhaut, die Büschel rotblonden Haars, die wie ein Heiligenschein um ihren Kopf liegen.
Sie steigen die Treppe von der métro hoch, und im ersten Augenblick sind sie geblendet – der Regen hat wieder aufgehört, und die strahlende Sonne spiegelt sich in all den Pfützen, die sich auf der Straße gebildet haben. Riley findet ihre Filmstar-Sonnenbrille und versteckt sich dahinter. In Paris tragen die Frauen kleine, würdevolle Brillen, künstlerisch angehauchte Dinger mit roten, violetten, bronzefarbenen Gestellen. Aber sie wird sich nicht von ihrer überdimensionalen Schildpattbrille trennen. Damit fühlt sie sich wie Gwyneth Paltrow, die für eine
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