Einem Tag mit dir
lag, dass niemand in diese Welt eindrang.
»Da kommt jemand«, hatte ich Westry ängstlich zugeflüstert.
Vom Fenster aus beobachteten wir den Mann, der über den weißen Sand stolperte. Er war anscheinend betrunken. Die Soldaten tranken zu viel, und die Hitze auf der Insel verstärkte die Wirkung des Alkohols.
»Die Luft ist rein«, sagte Westry kurz darauf. »Er hat uns nicht gesehen.«
Aber warum hatte er uns nicht gesehen? Die Hütte stand ziemlich nah am Strand, kaum verborgen unter den Palmen. Jeder, der auch nur ein bisschen neugierig war, würde sie beim zweiten Hinsehen entdecken. Warum also hatte niemand sie bisher bemerkt? Wie war es möglich, dass sie in all den Jahren übersehen worden war, obwohl es hier eine Militärbasis gab, wo Tausende von Soldaten stationiert waren? Diese Fragen gingen mir durch den Kopf, bis ich das Gefühl hatte, dass die Hütte nur in meiner Fantasie existierte. In unserer Fantasie. Eine Fata Morgana, die die Sonne in Französisch-Polynesien extra für Westry und mich hervorgezaubert hatte.
»Also«, fragte Mary. »Kommt ihr mit?«
Ich schaute zu Kitty hinüber. Sie wirkte abwesend, lust los. »Ich ja«, antwortete ich zögernd. »Aber nur, wenn Kitty auch mitkommt.«
Kitty sah mich verdattert an. »Nein«, sagte sie. »Ich kann nicht.«
»Warum denn nicht?«
Sie schwieg.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und rang mir ein Lächeln ab. »Siehst du? Du hast noch nicht mal eine gute Ausrede«, sagte ich. Dann wandte ich mich wieder Mary zu. »Wir fahren mit«, sagte ich.
»Großartig«, sagte sie. »Wir treffen uns um halb acht auf dem Parkplatz.«
Kitty kam widerstrebend mit. Ich schaute sie lange an, bevor wir das Zimmer verließen. Irgendetwas hatte sich an ihr verändert. Sie war blasser als gewöhnlich, um ihr Haar schien sie sich überhaupt nicht mehr zu kümmern. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, beim Hinausgehen einen kurzen Blick in den kleinen Wandspiegel zu werfen. Aber selbst wenn sie es getan hätte, wäre ihr vielleicht gar nichts an sich aufgefallen. Auch ihre Figur hatte sich verändert. In der Woche zuvor, als Kitty sich gerade eine zweite Portion Kartoffelpüree auf den Teller schaufelte, hatte ich Stella flüstern hören: »Bis sie nach Hause fährt, hat sie bestimmt fünf Kilo zugenommen!« Kitty war tatsächlich ein bisschen mollig geworden, aber die blassen Wangen, das wilde Haar und die paar Pfund mehr taten ihrer Schönheit keinen Abbruch.
»Du siehst hübsch aus«, sagte ich zu ihr, als wir das Gebäude verließen.
»Nein, tu ich nicht«, entgegnete sie müde.
»Herrgott noch mal, Kitty«, sagte ich. »Kannst du mal aufhören mit dieser Muffelei?« Ich schaute sie wütend an. »Wo ist meine alte Freundin geblieben?«
Plötzlich blieb Kitty wie angewurzelt stehen, und als ich mich umwandte, sah ich, warum. Colonel Donahue kam auf uns zu. Er grüßte uns im Vorbeigehen, indem er einen Finger an die Mütze legte, sagte jedoch nichts. Mir wurde ganz flau im Magen, als ich an den Vorfall mit Westry dachte. Seitdem verachtete ich den Colonel. Aber jetzt zu erleben, wie er an Kitty vorbeimarschierte, ohne ein Wort zu vergeuden, brachte mich auf die Palme. Es hieß, er habe jetzt eine Affäre mit einer anderen Schwester, einer schwarzhaarigen mit einer Figur wie ein Mannequin. Er sollte sich was schämen , dachte ich.
Als der Colonel außer Hörweite war, sagte ich zu Kitty: »Der Mann war mir von Anfang an unsympathisch.«
Kitty wirkte geknickt, sodass ich schon fürchtete, dass ich das Falsche gesagt hatte. »Ich wollte dich nicht …«
Sie drückte meine Hand. »Ist schon gut, Anne. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es ist nur …« Sie unterbrach sich, als überlegte sie, wie sie fortfahren sollte, oder vielleicht wollte sie sich auch vergewissern, dass niemand an einem offenen Fenster stand und uns hören konnte, denn wir näherten uns gerade den Männerunterkünften. »Ach, nichts.«
»Ich wünschte, du würdest mir erzählen, was los ist«, sagte ich. »Bist du traurig, dass der Colonel jetzt eine andere hat? Stella sagt, sie ist eine richtig dumme Gans. Oder ist etwas mit Lance? Ist etwas passiert, Kitty? Hat er dir wehgetan?«
Sie schüttelte den Kopf. »Anne, bitte lass mich.«
»Also gut«, sagte ich. »Aber versprich mir, dass du mir irgendwann erzählst, was los ist.«
Kitty nickte, aber ich hatte das Gefühl, dass es ein leeres Versprechen war.
In einiger Entfernung sah ich, wie mehrere Frauen und Männer in
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