Einem Tag mit dir
durchgeschoben. Ich versuchte, ihn nicht zu beachten, wie er da auf dem Holzboden lag, aber er schien wie ein helles Licht zu pulsieren, ein Licht, von dem ich den Blick nicht abwenden konnte. Schließlich überwand ich mich und hob ihn auf.
Ich hielt den Bogen beigefarbenes Briefpapier in der Hand und seufzte, als ich die vertraute Handschrift erkannte.
Meine liebe Antoinette!
Ich weiß, dass Dich das alles schmerzt. Mir geht es genauso. Bitte, lass mich Dich trösten.
Maxine
Ich legte meine Hand um den kalten Türknauf, drehte ihn ganz langsam und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Maxine stand im Flur, das Haar wie immer streng im Nacken zusammengefasst, um die Taille eine frisch gestärkte weiße Schürze. In den Händen hielt sie ein Tablett. Darauf standen ein Teller mit Sandwiches, eine kleine Blumenvase mit einer einzelnen rosafarbenen Rose und eine dampfende Henkeltasse. Der Duft von Earl Grey stieg mir in die Nase.
Ich machte die Tür ganz auf. »Maxine!«, rief ich aus.
Sie stellte das Tablett auf meinem Nachttisch ab und nahm mich in die Arme. Ich brach in Tränen aus und konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen.
»Lass deinen Tränen freien Lauf«, flüsterte Maxine. »Halt nichts zurück.«
Als ich mich allmählich beruhigte, gab Maxine mir ein Taschentuch und reichte mir die Teetasse. Ich lehnte mich gegen das Kopfteil meines Betts und zog unter meinem rosafarbenen Baumwollnachthemd die Knie bis unters Kinn.
»Du brauchst nichts zu sagen«, sagte Maxine leise, »wenn du nicht möchtest.«
Ich schaute ihr zum ersten Mal in die Augen und sah, dass sie Seelenqualen litt.
»Es tut mir so leid, dass ich dir geschrieben habe«, sagte sie. »Das hätte ich nicht tun sollen. Ich hätte es deinem Vater überlassen sollen, dir alles zu erzählen. Es stand mir nicht zu.«
Ich nahm ihre Hand. Ihre Finger fühlten sich kalt an. »Du bist mir gegenüber immer ehrlich gewesen«, sagte ich. »Es war richtig, mir zu schreiben.«
»Wirst du mir je verzeihen können?« Aufgrund ihres starken Akzents klangen ihre Worte noch verzagter. »Wirst mich je wieder so lieb haben wie früher?«
Ich holte tief Luft. »Ich habe nie aufgehört, dich lieb zu haben, Maxine.«
Ihre Augen leuchteten vor Glück. »So«, sagte sie, »jetzt iss dein Frühstück und erzähl mir vom Südpazifik. Ich spüre doch, dass du eine Geschichte zu erzählen hast.«
Ich biss in ein Sandwich und nickte, begierig, ihr alles anzuvertrauen. Oder zumindest fast alles.
Am nächsten Tag ließ der Regen nach, und als nach einer Weile die Sonne zwischen den Wolken hervorkam, fühlte ich mich schon besser.
»Morgen, Antoinette«, rief Maxine aus der Küche. »Frühstück ist fertig.«
Ich setzte mich lächelnd zu meinem Vater an den Tisch und betrachtete meinen Teller: frisches Obst, gebutterte Toastscheiben und ein Omelett – ein opulentes Mahl im Vergleich zu dem, was man uns auf der Insel vorgesetzt hatte.
Maxine hängte ihre Schürze an einen Haken an der Wand und setzte sich zu uns. Mein Vater gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ich hatte zwar akzeptiert, dass die beiden ein Paar waren, aber ich spürte, dass ich noch eine Weile brauchen würde, um mich daran zu gewöhnen. Wie meine Mutter wohl damit zurechtkam?
»Papa«, fragte ich vorsichtig, »hast du von Mama gehört?«
Maxine legte ihre Gabel ab und senkte den Blick.
»Ja«, sagte mein Vater. »Sie wohnt jetzt in New York, Liebes. Aber das weißt du ja. Ich nehme an, dass sie dir geschrieben hat.« Er zog einen Zettel aus der Tasche seines Jacketts. »Sie hat mich gebeten, dir diese Nummer zu geben, damit du sie anrufen kannst. Sie möchte, dass du sie besuchst.« Er schluckte. »Wenn du so weit bist.«
Ich faltete den zerknitterten Zettel zusammen und legte ihn neben meinen Teller. Zweifellos ging sie in elegante Ge schäfte und auf Modenschauen. Aber ob sie glücklich war?
»Gerard hat heute Morgen angerufen«, sagte mein Vater, um das Thema zu wechseln.
»Ach?«
»Er würde gern heute Nachmittag vorbeikommen.«
Instinktiv griff ich nach meinem Medaillon. In der Hoffnung, es würde mir ein Zeichen geben.
»Ja«, antwortete ich und schaute Maxine Hilfe suchend an. »Das würde mich freuen.«
Maxines Lächeln sagte mir, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Der erste Schritt hin zu einem vernünftigen Umgang mit meiner neuen Wirklichkeit bestand darin, Gerard zu treffen und mit ihm über das gemeinsame Leben zu reden, das wir geplant hatten. Ich rieb mir
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