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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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getroffen und …«
    Ich hatte oft an Kitty gedacht, vor allem in letzter Zeit, wo der Tag meiner Hochzeit näher rückte. Und jetzt ihren Namen zu hören, versetzte meiner gekränkten Seele erneut einen Stich.
    »Geht es ihr gut?«
    »Ja«, sagte Mary. »Ihr ja. Aber … Es geht um Westry.«
    Ich setzte mich, als alles um mich herum sich zu drehen begann.
    »Anne, bist du noch da?«
    »Ja«, sagte ich schwach. »Ich bin noch da.«
    »Er ist verwundet«, sagte sie. »Ziemlich schwer. Eine Kugel hat ihn erwischt. Er gehörte zu der Infanteriedivi sion, die die Stadt gestürmt hat. Aber sein Bataillon wurde aufgerieben. Die meisten sind gefallen. Er hat irgendwie durchgehalten.«
    »Mein Gott, Mary, wie schlimm ist es?«
    »Ich bin mir nicht ganz sicher«, antwortete sie. »Aber es sah nicht gut aus, Anne.«
    »Ist er bei Bewusstsein?«
    Wieder knackte es in der Leitung.
    »Mary, bist du noch da?«
    »Ja«, sagte sie. Sie war kaum noch zu verstehen, und ich fürchtete, dass die Verbindung jeden Augenblick abbrechen würde. »Du musst herkommen. Du musst ihn besuchen, bevor er …«
    »Wie soll ich das denn anstellen?«, rief ich verzweifelt. »Die Reisemöglichkeiten sind eingeschränkt, vor allem nach Europa.«
    »Es gibt eine Möglichkeit«, sagte Mary. »Hast du was zum Schreiben?«
    Ich öffnete die Küchenschublade und suchte nach Stift und Schreibblock. Auf dem obersten Blatt stand eine Notiz in der vertrauten Handschrift meiner Mutter, was mir wieder zu Bewusstsein führte, wie sehr sie mir fehlte. Ich war schon seit einem Jahr wieder zu Hause und hatte sie immer noch nicht in New York besucht. »Schieß los«, sagte ich.
    »Schreib dir folgenden Code auf«, sagte Mary. »A5691G9NQ.«
    »Was bedeutet das?«
    »Das ist ein geheimdienstlicher Reisecode«, sagte Mary. »Du kannst ihn benutzen, um ein Schiff zu nehmen, das in vier Tagen von New York nach Paris fährt. Wenn du hier bist, komm in meine Wohnung: Boulevard Saint Germain Nummer 349.«
    Ich schrieb mir die Adresse auf, dann schüttelte ich den Kopf. »Glaubst du wirklich, dass das funktioniert?«
    »Ja«, versicherte sie mir. »Und falls du in Schwierigkeiten geraten solltest, beruf dich auf Edward Naughton.«
    Ich umklammerte den Hörer. »Danke, Mary.« Aber die Verbindung war bereits unterbrochen, und es rauschte nur noch in der Leitung.
    »Gerard, ich muss dir etwas erzählen«, sagte ich am Abend beim Essen und schob meinen Teller weg. Ich hatte nichts herunterbekommen, obwohl es gedünsteten Lachs mit neu en Kartoffeln gab.
    »Du hast ja fast nichts gegessen«, sagte er stirnrunzelnd.
    Er sah gut aus in seinem grauen Anzug. Durch den Krieg war der Cabaña Club, der früher immer verraucht und voller Trubel gewesen war, fast verwaist. Auf der Bühne spielte gerade ein Saxophonist. In gewisser Weise fühlte es sich an wie Verrat, hier zu sein, Verrat an jenen, die ihr Leben gelassen hatten oder verstümmelt in Lazaretten lagen. Ich schluckte schwer.
    »Was ist los, mein Schatz?«, fragte Gerard und betupfte sich die Mundwinkel mit einer weißen Stoffserviette.
    Ich holte tief Luft. »Als ich im Südpazifik war, da … gab es einen Mann. Ich … ich …«
    Gerard schloss die Augen. »Erzähl’s mir nicht«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Bitte.«
    Ich nickte. »Ich verstehe dich. Aber es gibt etwas, das ich unbedingt tun muss. Vor der Hochzeit.«
    »Was denn?«
    »Ich muss für eine Weile wegfahren«, sagte ich.
    Gerard schaute mich traurig an, aber er protestierte nicht. »Und wenn du zurückkommst, wirst du dann wieder du selbst sein?«
    Ich schaute ihm tief in die Augen. »Genau deswegen muss ich fort«, sagte ich. »Um das herauszufinden.«
    Er wandte sich ab. Meine Worte hatten ihm wehgetan, und das tat mir schrecklich leid. Sein linker Arm hing kraftlos herunter. Er mochte es nicht, die Schlinge zu tragen, wenn wir ausgingen. »Anne.« Er räusperte sich. Ihm versagte die Stimme, und er holte tief Luft, um sich zu sammeln. Gerard weinte nie. »Wenn es sein muss. Wenn die Chance besteht, dass du mir wieder dein ganzes Herz schenkst, werde ich auf dich warten.«

14
    A m nächsten Morgen brachte mein Vater mich zum Bahnhof. Es war eine lange Fahrt bis nach New York, aber es gab keine andere Möglichkeit, dorthin zu kommen. Ich würde einen Tag mit meiner Mutter verbringen und dann das Schiff nehmen, das Mary mir genannt hatte. Ich betete, dass Westry durchhalten würde, bis ich eintraf. Ich musste ihm so vieles sagen und wollte so vieles von

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