Einem Tag mit dir
keine Schlaglöcher.
»Es ist schön, wieder zu Hause zu sein«, sagte ich und atmete genüsslich die milde Luft von Seattle ein. Die Rückreise war sehr anstrengend gewesen, mit mehreren Zwischenlandungen und einer viertägigen Fahrt auf dem Schiff. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt, Zeit, mir über viele Dinge klar zu werden, die mich verwirrten, und doch hatte ich vor lauter Ungewissheit am ganzen Körper gezittert, als ich in Seattle aus dem Flugzeug gestiegen war.
»Gerard ist zu Hause«, sagte mein Vater vorsichtig, als wollte er die Lage sondieren.
Ich betrachtete meine Hände in meinem Schoß, Hände, die Westry geliebt hatten, die ihn immer noch liebten. Hände, die Verrat begangen hatten.
»Möchte er mich sehen?«, fragte ich.
»Natürlich möchte er dich sehen, Liebes«, sagte mein Vater. »Aber vielleicht lautet die eigentliche Frage, ob du ihn sehen möchtest.«
Er spürte genau, was mit mir los war. Das war schon immer so gewesen. »Ich weiß es nicht, Papa«, murmelte ich und begann zu weinen. »Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich will.«
»Komm her, Liebes«, sagte er. Ich rückte näher an ihn heran auf der Sitzbank, sodass er seinen Arm um mich legen konnte. »Es wird alles gut«, sagte er. Ich wünschte nur, ich hätte daran glauben können.
Windermere wirkte wie unberührt von der Zeit und vom Krieg. Aber als wir an den vertrauten Häusern vorbeifuhren, wurde mir bewusst, dass der Schein trog. Im Vorgarten der Larsons war der Rasen wie immer tadellos gepflegt, in der Mitte plätscherte der Springbrunnen mit den Putten, und marmorne Amphoren standen zu beiden Seiten der Haustür, aber ich wusste, dass Trauer über allem lag. Die Zwillinge waren nicht aus dem Krieg heimgekehrt. Terry war bei Marseille gefallen, und Larry war zwei Tage später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen – er war auf dem Weg nach Hause gewesen, um seine Mutter zu trösten.
Auch die Villa der Godfreys sah so elegant aus wie immer, aber in ihren Mauern war ebenfalls nichts mehr wie früher. Als wir daran vorbeifuhren, hielt ich den Atem an. Ich musste an die Verlobungsparty denken, an Kittys Gesicht und daran, wie wir draußen auf dem Bordstein gehockt und Zukunftspläne geschmiedet hatten. Wenn wir damals gewusst hätten, wie sich alles entwickeln würde, wären wir trotzdem gefahren?
Die Erinnerungen schmerzten, und ich wandte mich hastig ab.
»Er ist am Freitag heimgekehrt«, sagte mein Vater. »Man hat ihn früher nach Hause geschickt, weil er verwundet wurde.«
Ich zuckte zusammen. »Verwundet?«
»Ja«, sagte mein Vater. »Eine Kugel hat ihm die Schulter zerschmettert. Seinen linken Arm wird er womöglich nie wieder richtig gebrauchen können, aber im Vergleich zu anderen Kriegsverletzungen ist das gewiss keine Tra gödie.«
Widersprüchliche Gefühle wallten in mir auf. Mein Vater hatte recht. Viele Soldaten wurden verstümmelt, Zig tausende fielen. Eine Schulterverletzung war vergleichsweise harmlos, aber aus irgendeinem Grund machte mich die Neuigkeit unglaublich traurig.
»Nicht weinen, Liebes«, sagte mein Vater und streichelte mir den Kopf. »Er wird sich wieder erholen.«
»Ja«, schniefte ich. »Bestimmt. Aber …«
»Es ist schwer zu verkraften«, sagte er. »Ich weiß.«
»Dieser Krieg«, sagte ich, »hat alles verändert. Er hat uns alle verändert.«
»Ja, da hast du recht«, sagte mein Vater ernst und bog in unsere Einfahrt ein. Alles sah noch genauso aus wie am Tag meiner Abreise. Und doch war alles anders. Und es würde nie wieder so werden, wie es einmal gewesen war.
Es klopfte leise an meiner Tür. Wo war ich? Ich setzte mich auf und versuchte, mich zu orientieren. Die alten Spitzengardinen. Das große Bett. Ja, ich war zu Hause. Aber wie spät war es? Welcher Tag war es? Es war dunkel draußen, es musste also schon spät sein. Wie spät? Wie lange hatte ich geschlafen? Der Regen trommelte aufs Dach, und ich schloss die Augen. Ich dachte an die Gewitter in den Tropen, daran, wie Westry und ich am Strand im strömenden Regen geduscht hatten. Ich spürte immer noch seine Arme, roch immer noch die Seife auf seiner Haut. Ich blinzelte. War es nur ein Traum gewesen?
Ich schlug die Decke fester um mich. Wieder klopfte es an der Tür, diesmal lauter, aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich wollte Maxine nicht sehen. Noch nicht. Ich wünschte, sie würde wieder gehen und mich meinen Erinnerungen überlassen.
Kurz darauf wurde ein Zettel unter der Tür
Weitere Kostenlose Bücher