Einem Tag mit dir
»Sir«, flüsterte ich dem Museumswärter zu.
Er nickte und kam auf mich zu. »Ja?«
»Entschuldigen Sie, aber Sie sagten, dieser Raum sei wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Wissen Sie, ob einige der Informationstafeln neben den Bildern entfernt wurden? Es gibt da ein Bild, das mich besonders inte ressiert.«
Der Mann lächelte. »Welches denn?«
Ich ging in den Raum und zeigte ihm das Gemälde.
»Das Bild kenne ich«, sagte er. »Es ist etwas ganz Besonderes.«
»Von wem ist es?«
»Na, von Paul Gauguin«, sagte er. »Das sieht man doch an der Polynesierin im Vordergrund und an der Signatur.«
Ich schüttelte verwundert den Kopf. »Signatur?«
»Hier«, sagte er und zeigte auf eine Stelle in der unteren linken Ecke. Die Schrift in gelber Farbe verschmolz mit dem gelben Hintergrund.
Natürlich war es ein Gauguin. Ich wünschte, Westry hätte dabei sein und es sehen können.
»Hier ist noch ein Bild von Gauguin«, sagte der Mann und zeigte auf ein größeres Gemälde, auf dem eine bar busige Frau mit einer Plumeria im Haar abgebildet war. Mir blieb beinahe das Herz stehen. Atea. Sie sah genauso aus wie Atea.
Ich ging noch einmal zu der Strandszene zurück, die mich so fasziniert hatte. »Wissen Sie zufällig, wann er dieses Bild gemalt hat?«
»Das wird aus seiner Zeit auf Tahiti stammen«, antwortete der Mann. »Anfang der neunziger Jahre.«
»Tahiti?«
»Ja, oder irgendwo da in der Nähe«, sagte er. »Es heißt, dass er auf verschiedenen Inseln gewohnt hat. Hin und wieder tauchen Werke von ihm auf, die Schiffskapitäne auf den Inseln als Tauschobjekte bekommen haben. Ein unbezahlbares Gemälde für eine Schachtel Zi garetten.« Er schüttelte den Kopf. »Können Sie sich das vorstellen?«
Mich überkam dieselbe Panik, die ich beim Verlassen der Insel empfunden hatte, weil ich fürchtete, das Bild in der Hütte könnte für immer verloren gehen. »Wissen Sie sonst noch etwas über Gauguins Leben auf der Insel?«
»Nur dass er sehr zurückgezogen gelebt hat«, sagte der Mann. »Er hat in kleinen, verborgenen Hütten gewohnt, sich sehr junge Frauen genommen, und er litt unter gesundheitlichen und finanziellen Problemen. Er ist allein gestorben, an Syphilis. Kein besonders glückliches Leben, wenn Sie mich fragen.«
Ich nickte. Es passte alles zusammen. Die Hütte. Das Bild. Titas Warnungen. Der Fluch.
Ich schaute den Museumswärter voller Bewunderung an. »Woher wissen Sie so viel über Gauguin?«, fragte ich.
»Hier in diesen Hallen treiben sich nicht viele Kunstdiebe herum«, sagte er mit einem Augenzwinkern. »Ich habe also viel Zeit. Außerdem ist er mein Lieblingsmaler. Er hat es nicht verdient, in diesen kleinen Raum abgeschoben zu werden. Seine Werke müssten bei den Monets und van Goghs hängen.«
Ich wünschte, ich könnte mich zurück auf die Insel zaubern und das Gemälde holen, das Westry und ich dort zurückgelassen hatten. Dann würde ich es ins Museum bringen und darauf bestehen, dass man es genau neben das andere Gemälde hängte, damit die Geschichte, deren Beginn das eine Bild darstellte, von dem anderen zu Ende erzählt werden konnte.
»Es tut mir so leid, dass ich heute Morgen verschlafen habe, Liebes«, sagte meine Mutter, als ich zurückkam. Sie lag mit einem Eisbeutel auf der Stirn auf dem Sofa. »Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen.«
Am liebsten hätte ich geantwortet: Weil du die ganze Nacht mit einem gewissen Mr. Schwartz durchgesoffen hast . Doch ich sagte nur freundlich: »Ich habe mich beschäftigt, Mama.«
»Schön«, sagte sie. »Ich fürchte, ich bin zu angeschlagen, um dich zum Hafen zu begleiten. Ich habe einen Fahrer für dich bestellt, er holt dich in einer halben Stunde ab.«
Ich nickte. »Mama.« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Wir haben gar nicht über das gesprochen, was passiert ist. Ich meine, mit Papa und Maxine.«
Sie wich meinem Blick aus.
»Mama«, fuhr ich fort. »Alles in Ordnung? Das war bestimmt sehr schlimm für dich.«
Ich spürte ihre Traurigkeit, obwohl sie sich bemühte, sie zu verbergen.
»Mama?«
Sie seufzte. »Irgendwann werde ich darüber hinwegkommen«, sagte sie. »Ich versuche, mich so gut wie möglich abzulenken. Und Männer gibt es genug.«
Ich wandte mich verlegen ab.
»Das Scheitern meiner Ehe ist das Schlimmste, was mir im Leben zugestoßen ist.«
»Ach, Mama …«
»Nein«, fiel sie mir ins Wort. »Ich möchte dir das erzählen.«
Ich nickte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich es hören
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