Einem Tag mit dir
umwerfend gut aus in seinem Smoking, eine weiße Rose im Knopfloch. Die Worte meiner Mutter fielen mir ein: Wenn du mal heiratest, vergewissere dich, dass er dich wirklich liebt .
Ich dachte an Westry und daran, wie liebevoll er Kitty im Krankenhaus in Paris angesehen hatte. Wie naiv von mir zu glauben, dass er mich immer noch liebte. Was für eine Rolle spielte es jetzt noch, ob er meine Nachricht erhalten hatte oder nicht? Plötzlich sah ich Gerard mit ganz neuen Augen. Er liebte mich. Und er würde mich immer lieben. Das reichte für ein ganzes Leben.
»Ja«, sagte ich, schob meinen Schmerz und die Geister der Vergangenheit beiseite und nahm seine Hand.
Als ich aufstand, schaukelte das Medaillon an meiner Halskette.
16
A lso hast du Grandpa geheiratet.« Jennifers Stimme holte mich in die Gegenwart zurück. Die Sonne war untergegangen, und am Horizont war nur noch ein rosafarbener Streifen zu sehen.
Ich lächelte und wischte mir mit einem Taschentuch eine Träne fort. »Natürlich habe ich Grandpa geheiratet. Darüber solltest du froh sein. Denn wenn ich das nicht getan hätte, dann würde es dich nicht geben.«
Jennifer schien mit meiner Antwort überhaupt nicht zufrieden zu sein. »Also verdanke ich meine Existenz deinem Liebeskummer?«
»Unsinn«, entgegnete ich bestimmt. »Ich habe deinen Großvater geliebt.«
»Aber nicht so, wie du Westry geliebt hast.«
Ich nickte. »Es gibt die unterschiedlichsten Arten von Liebe. Das habe ich in meinem langen Leben gelernt.« Ich dachte an Gerard, den starken, selbstsicheren Gerard. Daran, wie er mir den Nacken geküsst hatte, wie er mich morgens mit der Zeitung und einem ge kochten Ei mit Toastbrot empfangen hatte. Er hatte mir sein ganzes Herz geschenkt, während ich ihm nur ein Teil von meinem geschenkt hatte. Denn in meinem Herzen hatte immer eine Kerze für einen anderen gebrannt.
»Ach, Grandma«, sagte Jennifer und legte den Kopf an meine Schulter. »Warum hast du mir die Geschichte nicht früher erzählt? Warum hast du sie ganz allein mit dir herumgetragen?«
Ich umfasste mein Medaillon. »Nein, Liebes«, sagte ich. »Ich war nie ganz allein. Weißt du, wenn du jemanden liebst, und sei es auch nur für kurze Zeit, lebt die Liebe in deinem Herzen weiter.« Ich öffnete das Medaillon und ließ den winzigen Holzsplitter in meine Hand fallen. Jennifer beugte sich staunend darüber.
»Nein«, sagte ich noch einmal. »Allein bin ich nie gewesen.«
Jennifer runzelte die Stirn. »Und was ist mit Kitty? Und Westry? Hast du denn nie einen Versuch unternommen, die beiden zu finden?«
»Nein«, antwortete ich. »An dem Tag, an dem ich dei nen Großvater geheiratet habe, habe ich mir gelobt, das alles loszulassen. Es musste sein. Das war ich deinem Großvater schuldig.«
»Und was ist mit der Hütte und mit dem Gemälde? Und mit dem Versprechen, das du Tita gegeben hast? Sie wollte doch Gerechtigkeit.«
Ich spürte, wie mich eine tiefe Erschöpfung überkam. »Ich habe es nicht vergessen«, erwiderte ich ehrlich.
»Ich komme mit«, sagte Jennifer entschlossen.
»Du kommst mit? Wohin denn?«
»Nach Bora-Bora.«
Ich lächelte. »Ach, meine Kleine, wie lieb von dir, aber ich glaube wirklich nicht …«
»Doch«, fiel sie mir ins Wort. Ihre Augen leuchteten vor Aufregung. »Wir fahren zusammen.«
Ich schüttelte den Kopf. Die Geschichte zu erzählen hatte alte Wunden aufgerissen, die genauso wehtaten wie an dem Tag, als sie mir zugefügt wurden. »Ich fürchte, das verkrafte ich nicht.«
Jennifer sah mir in die Augen. »Verstehst du das denn nicht, Grandma? Du musst fahren!«
Das Flugzeug wackelte und bebte beim Anflug auf Tahiti. »Die Turbulenzen sind ein bisschen stärker als normalerweise«, erklärte uns der australische Steward fröhlich über Lautsprecher. »Bitte, schnallen Sie sich an. Der Kapitän wird diesen Vogel sicher landen.«
Ich schloss die Augen und dachte an meinen ersten Flug nach Bora-Bora vor so vielen Jahren, mit Kitty neben mir, in einem Flugzeug voller Krankenschwestern, die ge spannt zuhörten, als Schwester Hildebrand uns vor den Gefahren der Insel warnte. Ich seufzte bei der Erinnerung daran, wie Kitty mir eine Hand auf den Arm gelegt, sich bedankt hatte, dass ich mitgekommen war, und mir versprochen hatte, dass ich es nicht bereuen würde. Würde ich alles ungeschehen machen, wenn ich könnte?
Das Flugzeug ruckelte heftig, und Jennifer nahm meine Hand. »Keine Angst, Grandma«, sagte sie.
Ich drückte ihre Hand fester,
Weitere Kostenlose Bücher