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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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Hauses war, wurde nicht in Betracht gezogen. Man hielt sich an das, was man mit Bestimmtheit sagen konnte: die Lage des Hauses der Luger.
    Er konnte natürlich viel erzählen, der Luger, wenn der Tag lang war, aber man musste nicht einmal besonders helle sein, um zu wissen, dass das – gemauert, die hintere Front ganzseitig verglast, zwei große Schiebetüren, die ganz zurückgeschoben werden konnten – kein mit Wellblech gedeckter Holzverschlag, kein Gartenhaus war. Es roch nach Extravaganz, und dann hatte der Luger es ja auch zugegeben, als einer der Alten an einem dieser ausgestorbenen Sommerferiennachmittage vorbeigeschaut hatte. Ganz verlegen sei er gewesen, der Luger, erzählte er später seinen Kumpanen, die auf den Bänken vor der Kirche die Stellung gehalten hatten, doch dann habe er esrundheraus gesagt: »Meine Frau braucht das Licht zum Malen.« Wenig später traf dann der Brief vom Bauamt ein, und alles wurde kompliziert und nervenaufreibend. Herr Luger verfluchte die Hinterlandbewohner, sie sprachen jetzt spöttisch vom »Reich der Dame«, dessen gläserne Fassade nicht der einzuhaltenden Hinterlandästhetik entsprach und die Herrn Luger, der die Option, das »Reich der Dame« umzugestalten oder abzureißen, ausschlug, ein saftiges Strafgeld kostete.
    »Du musst gar nicht weitersuchen. Sie hat das Atelier nie benutzt«, sagte Johanna, als sie bemerkte, dass ich die Papiere und Mappen, die ich aus den Schubladen und Regalen in Kartons packte, etwas zu genau anschaute.
    »Warum?«
    »Na ja, hat wohl gemerkt, dass sie doch nicht die große Künstlerin ist.«
    Johanna richtete sich nur sehr sparsam ein: zwei Matratzen, ein Stapel Bücher, einige Ordner, Notizpapier, etwas Wäsche und ein paar angeschlagene Tassen für Tee, den sie auf dem Holzofen kochte. Wir fläzten uns auf den zusammengeschobenen Matratzen, die Ellbogen aufgestellt, die Köpfe über Magazinen und Büchern. Wenn uns ein Arm oder ein Unterschenkel taub wurde, setzten wir uns auf, drückten unsere Finger in das Fleisch, bis wieder Blut zirkulierte, die Augen unablässig auf Das Lebender Heiligen (Johanna) und die kommende Herbstmode (ich) gerichtet. Manchmal erhob Johanna in dieser Pflanzen- und Tierstille ihre Stimme. Ich erschrak. Unvermittelt, laut und feierlich las sie eine Begebenheit aus dem Leben eines Märtyrers oder gar die ganze Legende vor, meist war ich nicht sonderlich interessiert, sie glichen einander zu sehr. Ich wartete aber, bis Johanna zu Ende gelesen hatte, ehe ich mich wieder in meine Zeitschriften vertiefte und das Summen und Surren der über uns oszillierenden Insekten wieder überhandnahm. Jeden Nachmittag brachte ich neue Sachen aus meinem Zimmer mit, bald war ich vollständig übergesiedelt. Als Letztes schleppte ich einen Kassettenrekorder und mehrere Schuhkartons voll mit meinen Kassetten an. Ich hatte damit gerechnet, dass Johanna gegen Musik sein würde, dass es für sie nur Lärm wäre, der sie bei ihren Studien störte, doch ich hatte mich geirrt, sie war begeistert. Bald hatte sie ihre Lieblingslieder und -stellen, sie redete nicht darüber, doch ich merkte es an der Art, wie sie manchmal hochschaute, gespannt die besondere Stelle oder das geliebte Lied abwartete und, wenn es dann so weit war, versonnen lächelte.
    Manchmal schlich Herr Luger durch den Garten. Er ging keiner, wie man hier sagt, »geregelten Arbeit« nach, sondern hatte mehrere Gelegenheitsjobs. Es kam vor, dass er wochenlang nicht zu Hause war, irgendwo auf dem Bau arbeitete oder als Fernfahrerfür eine Spedition. Herrn Lugers Verhältnis zur Arbeit war den Alten auf den Bänken ein Rätsel. Dass er ein patenter Bursche sei, daran gäbe es nichts zu rütteln, das wisse jeder, der einmal mit ihm zusammengearbeitet habe, nicht zuletzt der Tanner, und dem könne ja keiner so schnell was recht machen, kaum ein Lehrling hielt es bei dem aus, aber der Luger, das musste sogar der Tanner zugeben, sei ein ganz heller Kopf, es wurde sogar gemunkelt, der Tanner überlege, ihm seinen Betrieb zu übergeben, sein eigener Sohn sei ja bei weitem nicht so auf Zack, und dann habe der Luger kurz vor der Gesellenprüfung einfach gekündigt. Nein, es war nichts vorgefallen. Das dürfe man dem Tanner schon glauben, denn wenn er auch eine harte Nuss war, der Tanner, wenn etwas vorgefallen wäre, dann wäre der Tanner der Letzte, der darüber schweigen würde.
    Natürlich führten die Alten auf den Bänken Herrn Lugers Austritt aus ihrer Welt der geregelten Arbeit

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