Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Assistenten, auch ich bekam, über Frank vermittelt, eine Stelle. Zu unseren Zuständigkeiten gehörte die Erstellung der Website, auf der dann im Sommer, wenn wir vor Ort die Schriften sammelten und digitalisierten, die Dokumente auch zugänglich gemacht werden sollten. Ich forderte Lebensläufe, Exposés und Publikationslisten der beteiligten Wissenschaftler an. Obwohl ich nur Franks Assistentin war, machte ich die Arbeit zunächst allein, später kam Zorah dazu. Frank nutzte die Zeit für seine Doktorarbeit. Ich war auf mich gestellt, doch ich lernte schnell.
Es ging um die Beweihräucherung der eigenen Gelehrsamkeit. Das Nachrichten-Afrika der Seuchen, Hungersnöte und Kolonialtraumata sollte nun auch eine Vergangenheit mit museumstauglichen alten Schriften bekommen, zwar ohne Latein und Griechisch, aber notfalls konnte auch Arabisch für eineHochkultur herhalten, nicht aber das Dialektgewühl vor Ort. Wir sollten Schriften zur Astronomie und Medizin finden, überholt und obskur für uns Heutige, aber egal, Hauptsache, Schriften mit Bildern und Skizzen, ähnlich und hoffentlich doch ganz anders als unsere.
Wir haben sie konserviert und mit allen brauchbaren Wissenschaften von allen Seiten abgetatscht und am Ende hinter Glas gebracht, an dem die Leute scharenweise vorbeilaufen bei der Langen Nacht der Museen. Wir brauchen neuen Stoff, neues Material, Beschäftigung. Uns wird warm ums Herz, wenn wir feststellen, dass diese Schriften auf angegammelter, termitenzerfressener Gazellenhaut so ähnlich sind wie die, aus denen wir Europa gemacht haben. Dann wird alles ganz leicht, dann können wir in den Kellern und Speichern Timbuktus eine Vergangenheit nach bewährten, wenn auch krisengeschüttelten Modellen basteln. Mit einer solchen Vergangenheit lässt es sich dann leichter Brunnen bauen, Spenden schicken und den Müttern mit den Babys an den ausgemergelten Brüsten zeigen, wie man ein Kondom überzieht. Wenn es vor sechshundert Jahren dort Schriften gab, wie wir sie kennen, mit Zeichnungen von nackten Körpern und Karten mit vielen Lücken, dann ist es vielleicht nur vom Weg abgekommen, dieses Afrika. Es ist gut, wenn ein Kontinent, ein Land, ein Mensch uns ähnelt. Wir werden in den massiven Holztürenmarokkanischen Stils ein Schwätzchen mit den Einheimischen halten, ihnen unsere Geräte zeigen – die teuren, teuren Geräte, finanziert von Amerika. Wir steuern das Hirn, die Forscher dazu bei. Wir werden ihr Vertrauen gewinnen müssen, werden sie miteinbeziehen in unsere Arbeit. Sie werden uns in ihre Kammern führen und uns die Schriften zeigen, die sie einander vererben – den Journalisten werden wir sagen: Sie reichen sie weiter »von Generation zu Generation«, wir werden von »jahrhundertealtem Familienbesitz« sprechen und uns sicher fühlen mit diesen Formeln. Manchmal, wenn wir in diesen Lehmlöchern stehen, werden wir uns daran erinnern, was wir eigentlich wissen. Von wegen »von Generation zu Generation«, von wegen »jahrhundertealter Familienbesitz«, denken wir dann und erfreuen uns an unserem Zynismus. Sie haben sie einfach einmal hier abgelegt, diese Schriften, und dann wurden sie, wie es halt so ist, wie es auch bei uns ist, einfach dort liegengelassen, sie haben ja auch niemanden gestört, Krempel eben. Erst seit zehn Jahren machen sie ein Aufheben darum. Dabei können sie sie noch nicht mal mehr lesen. Erst seit der Staat damit begonnen hat, sie ihnen abzukaufen, erst als Geld ins Spiel kam, haben sie angefangen, Wörter wie »Erbe« und »Familienbesitz« zu benutzen und damit nicht nur die Tiere im Stall oder die Hühner zu meinen. Ein ausländischer Journalist oder ein Rückkehrer, einForscher im Exil muss es ihnen beigebracht haben, dieses »von Generation zu Generation«. Ich könnte kotzen. Jetzt fangen sie dort auch schon damit an. Als würde etwas besser oder gar wertvoll, wenn man es nur lange genug aufhebt. Was ist das für ein Denken? Dass sie die Mühen auf sich genommen haben, die Schriften zu bewahren, soll ihren Wert beweisen? Aber warum Mühen? Sie haben sie einfach liegengelassen. Sie sagen, sie hätten sie vergraben, wenn sie fliehen mussten vor den einfallenden Tuareg, vor den Franzosen, wiedergefunden haben sie sie nicht. Man darf es ihnen nicht vorwerfen, dass sie mit den Journalisten reden und diese falschen Wörter benutzen. In den Texten auf der Website werden sie noch mehr Wörter und Formulierungen finden für die Journalisten, man darf es ihnen nicht vorwerfen, sie
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