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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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ihrer Unterhosensah. Zur Begrüßung drehten sie einander die Hüftknochen entgegen. Sie lockten nicht mit ihren Körpern, nicht auf den ersten Blick. Asketischer Adel. Und wir daneben, zwei zurechtgemachte Raupen Nimmersatt auf Blockabsätzen. Johanna erriet meine Gedanken.
    »Jetzt ist es schon zu spät, den letzten Zug kriegen wir nicht mehr«, sagte sie und holte Bier.
    Wir harrten aus. Die jungen Männer strichen sich mit Händen, die niemals Baugruben ausheben und Winterholz machen mussten, Haarsträhnen, die ihnen fast bis auf die Schultern fielen, wieder und wieder aus dem Gesicht und klemmten sie hinter die Ohren. Sie standen nicht wie Hinterlandmänner breitbeinig im Raum herum, sondern lehnten ihre schmächtigen Körper gegen eine Wand oder Säule. Weder die Mädchen noch die jungen Männer sahen so aus, als wären sie gern oder freiwillig hier. Sie machten ein leeres Gesicht, wie man es in Wartezimmern beim Arzt oder auf dem Amt macht, um die anderen Wartenden, die ja auch nicht freiwillig und gern da sind, nicht mit eigenen Befindlichkeiten zu belästigen. Vielleicht wollten sie ihr Gesicht auch nur nicht unnötig schnell abnutzen. Manchmal, wenn sie einander erkannten, machten sie minimale Bewegungen, die nur zerhackt und eingefroren durch das Stroboskoplicht zu erkennen waren: ein leichtes Nicken, das Abspreizen von Ring- und Zeigefingeraus der Bierflaschenumklammerung – das war ihre Begrüßung.
    »Sie tanzen überhaupt nicht.«
    Es war zu laut, Johanna verstand nicht, was ich sagte, unverhohlen observierte sie die Gestalten. Wir tranken das zweite Bier und wankten, wenn wir unser Gewicht von einem Bein aufs andere verlagerten. Sie spielten noch immer unsere Lieder. Ich wurde apathisch, Johanna nervös. Sie zupfte das Etikett von der Flasche. Kein Brahmane. Noch über sechs Stunden bis zum ersten Zug.
    Später, als wir über die vermatschten Wege des Fabrikgeländes zurück Richtung U-Bahn schlitterten und hinter uns eine Gruppe Männer aus dem Titty Twister stürzte, erklärte Johanna: »Ich habe alles verstanden. Natürlich, sie sind schön und ungesund und zart. Du kannst sie bewundern dafür, doch ich verachte sie. Sie geben sich gelangweilt, stieren auf den Boden oder aneinander vorbei, sie tun so, als ob sie nichts und niemanden brauchen, nichts und niemanden wollen, doch aus den Augenwinkeln schielen sie nacheinander. Du kannst es sehen, wenn einer rausgeht oder aufs Klo, dann schauen sie kurz hoch und registrieren das, mit Blicken, die keiner sehen darf, kontrollieren sie alles. Siehst du nicht, wie sie nur darauf warten, dass etwas passiert, wie sie lauern und gefangen sind in ihrem Gestarre? Dabei werden doch die Lieder gespielt. Aber sie stehen nur herum,phlegmatisch, immer angelehnt, immer mit hängenden Schultern, warten sie darauf, dass etwas passiert. Sie wollen befreit werden, Annemut, sie wollen befreit werden, ich habe alles verstanden.«
    Johanna hatte die Bierflasche einfach losgelassen, sie rollte auf den Gummiboden. Ich glotzte stumpfsinnig in die glitzernde Bierlache, Johanna nahm meine Hand und führte mich auf die Tanzfläche. Sie wartete das Intro ab, nahm auch meine andere Hand, wir standen einander gegenüber. Ich spürte die Blicke der Umstehenden, es war mir nicht unangenehm, Johanna strich mir mit den Daumen über die Handrücken, dann setzte der Gesang ein. Sie sang mit, ich sah, wie sie den Mund aufriss, schrie und brüllte, doch ihre Stimme ging unter in Bass, Gitarre und Schlagzeug, sie sprang auf und ab, riss die Arme hoch und lachte und führte, als der Gesang aussetzte und sich alles zuspitzte, einen brutalen Tanz auf: nicht fließend, nicht weich, nicht verführerisch – rabiat und abgehackt stieß sie ihre Hüften hin und her, riss den Kopf zurück, so weit, dass die Gurgel hervortrat. Als die Stimme wiederkam, bog sich ihr Körper mit einem Ruck wieder zurück, sie stand gerade, einen Augenblick, dann sprang sie wieder auf und ab, mit der geballten Faust fuhr sie sich wie eine Katze über das schweißnasse Gesicht. Ein letztes Mal der Refrain, eine Variante, sie legte ihre Hände auf meine Schultern, ihr Haar wirbelte in mein Gesicht.
    »What does it take to turn you on, on, now he has gone?«, brüllte sie mir ins Ohr, » animal, he was an animal, an animal .«

17.
    Franks Lehrstuhl hatte den Zuschlag für ein länderübergreifendes Projekt zur Erschließung der Bibliotheken in Timbuktu erhalten. Die Finanzierung war großzügig; Assistenten bekamen

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