Einen Stein für Danny Fisher: Roman
Küchentisch sitzend vorfand, während Mimi, gleichfalls tränen überströmt, ihre Hand hielt.
Das war der Abend, an dem ich ohne Nachtmahl in Papas Geschäft ging, um dabei zu helfen, die hastig verpackten Warenkisten in Onkel Davids Wagen hinauszutragen.
Das war die Nacht, in der ich um zwei Uhr morgens in der verdunkelten Straße stand und mein Vater, der die ganze Zeit bitterlich weinte, die Schaufenster zusperrte und dabei unaufhörlich murmelte: "Fünfundzwanzig Jahre ... fünfundzwanzig Jahre!"
Das war die Nacht, in der ich mit ansehen mußte, wie Papa und Mamma einander weinend in die Arme stürzten, in der ich lernte, daß auch sie Gefühle hatten, die sie nicht zu kontrollieren vermochten. Zum erstenmal sah ich Angst, Verzweiflung und völlige Hoffnungslosigkeit in ihren Gesichtern.
Ich eilte rasch in mein Zimmer, kleidete mich aus, kroch ins Bett und starrte schlaflos in die Finsternis. Das .gedämpfte Murmeln ihrer Stimmen drang bis zu mir herauf. Ich konnte nicht einschlafen; ich sah, wie das Morgengrauen ins Zimmer gekrochen kam, und ich hatte noch nichts gefunden, was ich tun konnte ... gar nichts!
Das war die Nacht, in der ich mir zum erstenmal eingestand, daß es nicht mein Haus ist, daß es in Wirklichkeit jemand ganz anderem gehört und daß ich kein Herz mehr hatte, um Tränen zu vergießen.
Umzugstag 1. Dezember 1932
Alles ging schief. Alles ging schief, nichts ging glatt. Ich wußte es in derselben Minute, in der ich die U-Bahn-Station in der Church Street betrat, anstatt zu Fuß nach Hause zu gehen. Am Morgen, beim Aufstehen, hatte ich das dumpfe, beklemmende Gefühl gehabt, als hätte mich jemand in den Solarplexus gestoßen. Und dieses Gefühl hatte sich den ganzen Tag über immer noch verstärkt. Jetzt bemerkte ich, wie sich dieser Schmerz über den ganzen Körper verbreitete. Ich war auf dem Weg von der Schule nach Hause - aber nicht mehr in unser Haus.
Als ich den Bahnsteig betrat, stand ein Expresszug da, und ich begann automatisch zu laufen. Ich konnte gerade noch hinein, ehe sich die Türen schlossen. Da kein Sitzplatz frei war, lehnte ich mich auf der gegenüberliegenden Seite an die Tür, die sich auf der ganzen Strecke nur ein einziges Mal in der Atlantic Avenue öffnet, so daß ich wenigstens möglichst unbehelligt stehen konnte.
Es war kalt im Zug, und ich stellte den Kragen meiner Schaffelljacke auf. Es hatte vor einigen Tagen geschneit, aber die Straßen waren schon wieder völlig gesäubert. Nur in den Alleen des Prospect Parks sah ich, während der Zug hindurchfuhr, noch etwas Schnee. Jetzt verschlang uns der Tunnel und erstickte das Tageslicht. Ich holte tief Atem und versuchte das krankhafte Gefühl loszuwerden, das mich so sehr quälte. Es half aber nichts. Wenn sich überhaupt etwas geändert hatte, so war es bloß, daß ich mich noch elender fühlte.
Am frühen Morgen hatten mich die Kisten und Koffer, die in den bereits fremd gewordenen Zimmern herumstanden, an das Schreckliche erinnert: heute ist Umzugstag. Ich hatte mein Zimmer verlassen, ohne einen Blick zurückzuwerfen, und Rexie folgte mir dicht auf dem Fuß. Ich wollte alles vergessen -vergessen, daß ich je kindisch genug war zu glauben, es sei in Wirklichkeit mein Haus. Ich war jetzt alt genug, um zu wissen, daß das Geschichten sind, die man kleinen Kindern erzählt.
Plötzlich flutete das Tageslicht wieder durch den Zug. Ich sah aus dem Fenster: wir befanden uns auf der Manhattan Bridge. In der nächsten Station, Canal Street, mußte ich aussteigen und in den Broadway-Brooklyn-Zug umsteigen. Der Zug fuhr wieder durch einen Tunnel, und gleich darauf öffneten sich die Türen. Ich mußte zwar ein paar Minuten auf den andern Zug warten, aber es war erst ein Viertel vor vier, als ich an der Kreuzung der Essex und Delancey Avenue auf die Straße hinaustrat.
Ich befand mich wie in einer andern Welt. Die Straßen waren dicht gedrängt mit Menschen, die ruhelos hin und her gingen und sich in den verschiedensten Sprachen unterhielten. Dann gab es Straßenverkäufer mit Handkarren und Hausierer, die in ihren kleinen Buden an den Straßenecken schreiend ihre Waren anpriesen, jederzeit bereit, sie wieder abzuräumen und sich davonzumachen, wenn die Polizisten ihnen befahlen weiterzugehen. Es war kalt, aber viele Männer gingen ohne Hut und Mantel, und die Frauen hatten oftmals bloß einen Schal über die Schultern geworfen. Überall umgab mich die stumme Sprache der Armut. Außer von Kindern hörte man wenig
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