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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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und durchsichtig. Manhart griff nach der Blende und zog sie herunter.
    Wilhelm stieß Wagner an, der noch immer an seiner Decke herumfummelte. »Er ist draußen!«
    »Teufel«, sagte Wagner. »Ich hab's gar nicht gemerkt.« Und er faltete endgültig seine Decke zusammen.
    »Ich hab nur noch seine Absätze gesehen«, sagte Wilhelm. »Er ist mit dem Kopf zuerst hinausgesprungen.«
    »Er wird sich das Genick gebrochen haben«, sagte Wagner besorgt.
    »Der nicht. Der ist zäh wie 'ne Katze.«
    »Mann, das ist schnell gegangen. Ist das Fenster dicht?«
    »Ja.«
    Wilhelm wandte sich an Manhart. »Warum bist du nicht gesprungen, Mani? Nach Werra hattest du das größte Anrecht darauf.«
    Manhart lächelte. »Ich weiß. Und ich war auch dicht daran, es zu tun. Aber es wäre verkehrt gewesen, ich hätte Werra nur die Chancen verdorben. Meine Zeit kommt auch noch, verlaß dich drauf! Und jetzt müssen wir alles tun, ihm so viel Zeit wie möglich zu geben! Los, Leute, steht nicht rum, tut was!« Er griff nach einer Decke, schüttelte sie auseinander und begann, sie umständlich wieder zusammenzufalten.
    Die anderen taten es ihm nach. Zwanzig Minuten lang standen sie vor ihrem Abteil und falteten alle Decken zusammen, die sie zu fassen bekamen.
    Dann ging das Licht an. Die Nachtruhe war offiziell beendet. Die fünfunddreißig Offiziere in dem Wagen machten sich daran, ihre Kojen zusammenzuschieben und die Oberbetten wieder in Gepäckkästen zu verwandeln. Niemand konnte jetzt feststellen, wieviel Offiziere im Wagen waren. Aber auch als die Ordnung wiederhergestellt war, wäre es schwer gefallen, eine exakte Zählung durchzuführen. Denn nach einer durchschlafenen Nacht im überhitzten Abteil schienen die deutschen Offiziere plötzlich von einer merkwürdigen Unrast besessen. Dauernd wechselten sie die Plätze, und es war ganz unmöglich, festzustellen, wer eigentlich wo zu Hause war.
    »Ich glaube, die haben Ameisen in der Hose«, sagte ein Kanadier. Aber er wurde nicht mißtrauisch.
    Gegen neun Uhr erschien Hauptmann Cramer im Mittelgang und setzte sich auf Werras Platz. Inzwischen hatten alle Gefangenen zum Erstaunen der Kanadier mit ausgezeichnetem Appetit gefrühstückt. Keiner zeigte mehr eine Spur von Magenkrankheit.
    »Wann?« fragte Cramer.
    »Vor drei Stunden«, sagte Wagner.
    Cramer pfiff durch die Zähne. »Ob er es diesmal schafft?«
    Manhart sagte: »Ich war dabei, wie er in Swanwick losging. Fanelsa hat mir erzählt, wie er das Ding in Grizedale Hall gedreht hat und wie sie ihn buchstäblich aus dem Moor ziehen mußten, nachdem er eine Woche im Winter unterwegs war. Wenn ihr mich fragt: ich wette meinen restlichen Wehrsold als Gefangener, daß er es diesmal schafft.«
    Keiner der drei nahm die Wette an.
    Der Zug fuhr weiter durch Kanada. Er hatte jetzt Kurs auf Sudbury. Noch 1.500 Kilometer Fahrt lagen vor den Gefangenen.

Ade, du mein lieb Kanada!
    Franz von Werra lag in einer tiefen Schneewehe. Er lag auf der rechten Seite und konnte über sich den dunklen Wall des Bahndamms sehen. Darüber war der blasse Nachthimmel Kanadas, in dem eine Handvoll Sterne glitzerten. In der Ferne verklang das Rattern des Zuges. Zuerst war es noch ein dumpfes Grollen, das der Wind zu ihm herübertrug, dann nur noch ein leises Summen, und schließlich war es ganz still.
    Werra versuchte sich aufzurichten, aber er spürte einen stechenden Schmerz im Nacken. Er blieb einige Augenblicke lang bewegungslos liegen. Welch ein Wunder, daß ich mir nicht das Genick gebrochen habe, dachte er. Er kroch etwas weiter vor, und jetzt gelang es ihm, sich aufzurichten. Er massierte mit beiden Händen den schmerzenden Nacken. Sein Blick ging vom Bahndamm zum Wald hinüber. Riesige Douglaskiefern reckten ihre schwarzen Finger in den Nachthimmel. Wenn ich da durchkomme, dann habe ich mehr Glück als Verstand, dachte Werra. Er tastete sich den Bahndamm hinunter und setzte sich auf einen Baumstumpf am Waldrand. Mit vom Schnee nassen Händen fingerte er eine Zigarette aus seiner Tasche und zündete sie an. Er sog den Rauch tief ein und blickte zum Himmel hoch. Die nächsten vierundzwanzig Stunden würden zeigen, ob er es dieses Mal geschafft hatte. Er war zum dritten Mal entflohen, und das dritte Mal soll ja angeblich Glück bringen.
    Er dachte einen Augenblick lang daran, wie er aus dem Fenster des fahrenden Gefangenenzuges gesprungen war. Er sah, wie Manhart die Decke schüttelte, er spürte den eisigen Nachtwind auf seinem Gesicht, der durch das

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