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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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erschien. »What's the matter with you?«
    Glücksfall Nummer eins. Es war der Posten, mit dem er sich am Tage vorher eingehend über Kanada unterhalten hatte. Ein Volksschullehrer; der gemütlichste unter den Wächtern.
    »Wie bitte?« fragte Werra, um noch ein wenig Zeit zu gewinnen.
    »Was ist los mit Ihnen? Warum schlafen Sie nicht?«
    »Kann nicht. Bauchweh! Die Äpfel gestern abend.« Werra preßte die Hände gegen den Leib.
    »Zu viel gegessen?«
    »Ja, vermutlich!« Werra stöhnte.
    »Mal auf die Toilette gehen?«
    »Kann man denn das? Ich denke, das ist bei Nacht verboten.«
    »Nuts!« sagte der Kanadier. »Ich bringe Sie hin!«
    Werra schlich hinter dem Posten her. Als er an dem bewussten Ort angelangt war, hatte er sich schon so gut in seine Rolle gefunden, daß er dem Posten das überzeugende Schauspiel eines magenkranken Gefangenen bieten konnte. Als er wieder herauskam, schnatterte er mit den Zähnen.
    »Kalt?« fragte der Kanadier. »Na, so ist einem, wenn man Bauchweh hat.«
    »Muß meinen Mantel anziehen«, sagte Werra. Er zog den blauen Mantel an, den er in Swanwick für einen halben Monatssold erstanden hatte, und wickelte sich seinen Wollschal um den Hals. Der Kanadier lachte gutmütig und ging davon.
    Werra setzte sich auf seinen Platz, lehnte den Kopf an das Rückpolster und schnatterte trotz des Mantels ostentativ weiter mit den Zähnen.
    Schräg über ihm war Manhart wachgeworden. Er erhob sich, öffnete für einen Augenblick die Blende am Fenster und zog sie wieder herunter. »Innenfenster ist offen!« flüsterte er.
    »Sag, daß du Bauchweh hast«, gab Werra zurück.
    Auch Manhart mußte zur Toilette. Nach Manhart erschien Wagner mit einem Gesicht, auf dem das Leid aller Welt stand, und dann Wilhelm. Manhart mußte gleich noch einmal zu dem stillen Ort.
    Inzwischen taute das Außenfenster auf. Man merkte es an dem Schwitzwasser, das von der Fensterbank tropfte. Werra nahm sein Handtuch und preßte es gegen das Rinnsal auf der Fensterbank.
    Es war kurz vor sechs Uhr morgens. Die Stunde der Entscheidung war angebrochen. Andere Gefangene wachten auf. Sie wußten nicht, was gespielt wurde, aber sie schlossen sich der allgemeinen Prozession der Magenkranken an, und während sie damit zwei von den Posten beschäftigten, beobachtete Manhart den dritten, und Wilhelm nahm die Wolldecke von seinem Lager, hielt sie mit beiden Händen vor sich hin, schüttelte sie und faltete sie umständlich zusammen.
    Werra warf einen Blick auf das Außenfenster. Es war nicht mehr weiß verschneit, es war schwarz. Die Bullenhitze in dem Abteil hatte ganze Arbeit geleistet. Er rüttelte daran. »Es bewegt sich«, murmelte er.
    »Warte, bis der Zug langsamer fährt«, flüsterte Wagner zurück.
    Nun bekam Manhart einen Anfall von Schüttelfrost. Er schnatterte noch schlimmer mit den Zähnen als Werra und warf alles durcheinander, um seinen Mantel zu finden. Als er ihn angezogen hatte, wickelte er sich obendrein die Wolldecke um den Magen. Die kanadischen Posten grinsten. Der Anblick dieser magenkranken Offiziere war ausgesprochen komisch.
    Ein paar Minuten später verlangsamten sich die Stöße der Achse, und kurz darauf hielt der Zug.
    »Warte, bis er wieder anfährt«, sagte Wagner.
    Einer der Posten öffnete die Außentür und blickte hinaus. Er rief etwas Unverständliches und kam wieder zurück. »Fährt gleich weiter.« Die Lokomotive stieß einen Klageschrei aus. Ein Ruck. Eine Kiste fiel um. Der Zug fuhr wieder.
    »Jetzt«, sagte Wagner.
    Werra erhob sich und hielt das Tuch vor den Mund, als müsse er sich übergeben. In der entferntesten Ecke des Waggons bekam ein Patient offenbar Magenkrämpfe. Er stöhnte laut, und alle blickten hin. Auch Wagner nahm jetzt seine Schlafdecke und hielt sie hoch, um sie zusammenzufalten. Manharts Daumen zeigte nach oben. Das war das verabredete Zeichen. Wilhelm griff nach seiner Decke und entfaltete sie nochmals. Manharts Daumen stand quer. Das bedeutete: Achtung! Werra hatte die Hand an der Rollblende des Fensters. Jetzt ging Manharts Daumen nach unten. »Frei!«
    Werra packte das Außenfenster und riß es mit einem Ruck auf.
    Wilhelm, der die Decke über den Kopf gehoben hatte, wandte sich um. Er sah nur noch die Absätze der Fliegerstiefel, die Werra trug. Er sah Manhart an. »Jetzt du, Manhart«, flüsterte er. »Jetzt du.«
    Eine Sekunde zögerte Manhart. Dann schüttelte er den Kopf, trat an Wilhelm vorbei und riß das Fenster auf. Beide Scheiben waren verräterisch klar

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