Einer kam durch
zu dieser Zeit lediglich ein Feldwebel, der sich unmöglich alle Gesichter merken konnte. Bis zur abendlichen Zählung hatten die beiden also Zeit. Gegen halb fünf Uhr verließen sie das Zimmer, nachdem sie es ausgefegt, den Tunnel verschlossen und den Spind über den Tunneleingang geschoben hatten. Sie duschten, säuberten ihre Fingernägel, zogen ihre Uniformen an und erschienen dann auf dem Appellplatz.
Sie sahen von Tag zu Tag hagerer aus. Das verpasste Mittagessen machte sich bemerkbar. Wenn Kameraden sich erkundigten, wie es mit der Arbeit stand, sagten sie: »gut!« – aber jeder konnte sehen, daß sie Sorgen hatten. Diese verdammte Luftnot! Bald war es soweit, daß sie täglich nur noch ein paar Feuereimer voll Erde aus dem Schacht brachten. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben. Der Tunnel war so schmal, daß man nicht mit einem Feuereimer hin- und herkriechen konnte. Also wurden Säcke genäht, in die man die Erde füllte. Die Säcke wurden dann mit Stricken herausgezogen. Doch das war zeitraubend, und außerdem rissen die Stricke immer wieder. Dann mußte jemand hineinkriechen und die beiden Enden neu verknoten.
Aber sie gaben nicht nach. Sie redeten nicht darüber, sie gestanden sich ihre Sorgen nicht ein. Keuchend, mit pfeifenden Lungen hockten sie in dem senkrechten Schacht, wischten sich die Schweißtropfen von der Stirn, tauchten wieder zurück in das Loch und packten die Schaufel. Einmal wöchentlich erschien Major Fanelsa. Er prüfte den Fortgang der Arbeit. Sein Verhalten zeigte, daß der dauernde Umgang mit dem ›Schulfuchs‹ bereits auf ihn abzufärben begann. Fanelsa erschien in Badehose und Trenchcoat; er zog den Mantel aus, faltete ihn sorgfältig und legte die Mütze korrekt auf den Mantel. Erst dann kroch er in das Loch. Wenn er zurückkam, wackelte er bedenklich mit dem Kopf.
»Auch nicht so einfach, wie Sie dachten, nicht wahr? Nur nicht weich werden!« Mit diesem freundlichen Rat verschwand er.
»Ich könnte ihn umbringen«, sagte von Werra. »Nicht weich werden! Pah! Wir werden nicht weich!« Und er begann wieder seinen Angriff auf die Erde der Grafschaft Derby.
Eines Tages kehrte er zurück und rief Manhart, der auf dem Bett saß und träumerisch an sein Berliner Mädchen dachte.
»Die Erde wird lockerer!«
Manhart vergaß seine Träume und robbte nach vorne. Als er zurückkam, sah sein Gesicht wütend und traurig aus.
»Das ist das Ende der ›Tiefbau AG‹, Franzi! Ein großes Abflussrohr liegt genau vor dem Stollen.«
»Das wird den Major freuen«, sagte Werra und schliefte wie ein Dachs zurück in den Bau. Als er herauskam, warf er sich müde auf das Bett. Manhart stand am Fenster. Sie wagten nicht, sich anzusehen. Beide waren völlig niedergeschlagen.
Das Schicksal des Planes hing an einem Faden.
»Na, und?« fragte von Werra schließlich.
»Na, und?« fragte Manhart zurück.
»Drunter durch können wir nicht, Walter. Das steht fest. Dann müßten wir tiefer als das Grundwasser gehen – außerdem ist es unter Abflussrohren sowieso meist feucht. Das Rohr läuft anscheinend unter dem Fußweg, den die Posten benutzen. Die Erde über dem Rohr wird lose sein – es ist ja nur ein ausgefüllter Graben. Wenn wir also versuchen, über das Rohr wegzugehen, fällt uns wahrscheinlich das Dach auf den Kopf, besonders wenn es Tauwetter gibt und dann Regen. Kann passieren, daß ein Posten plötzlich bis an den Hals in einem Loch steht.«
»Scheiße«, sagte Manhart. »Wir werden es trotzdem versuchen. Wir müssen nur die Geschichte gut abstützen, das ist alles!«
Werra hätte ihn am liebsten umarmt!
Übrigens war es dann gerade dieses Rohr, das den ganzen Tunnelbau rettete. Doch das konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen … Mit äußerster Vorsicht gruben sie sich über das Hindernis hinweg. Sie mußten ein paar Meter zurückgehen, die Decke langsam ansteigen lassen und den Boden gleichzeitig mit der gewonnenen Erde aufschütten, bis die Oberseite des Rohres in gleicher Höhe mit dem Boden des Stollens lag.
Endlich war es soweit. Manhart begann, sich über das Rohr vorzuwühlen. Werra war vorn im Stollen und leerte einen Brotbeutel in einen Feuereimer aus. Plötzlich gab es ein dumpfes Geräusch aus dem Tunnel. Gleichzeitig erlosch der Lichtschein im Stollen.
Werra schlüpfte so rasch in den Tunnel wie ein Karnickel, hinter dem ein Frettchen her ist. Manharts Oberkörper war völlig verschüttet, ein gurgelndes Schreien drang durch die lockere Erde,
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