Einer kam durch
gesetzt. Er müßte in zwanzig Minuten da sein. Ende.«
»Es war noch mal der Adjutant«, erklärte Werra.
»Ich weiß, er bat mich, Ihnen nicht zu sagen, wer am Apparat sei. Der ist schwer auf Draht.«
»Tja, im Krieg kann man nicht vorsichtig genug sein«, sagte Werra.
Beide lachten. Sam Eaton fand, daß der ›Dutchman‹ nun auch wie ein richtiger unbekümmerter Junge strahlte.
Kurz vor sieben kamen die ersten Fahrgäste für den 7.05-Uhr-Zug an den Schalter. Die Signalglocke auf dem Bahnsteig bimmelte.
Eine Minute nach sieben ging die Tür auf, und drei Männer traten in den Schalterraum. Der erste trug einen weichen grauen Hut, einen braunen Regenmantel, karierten Schal und braune Lederhandschuhe. Der zweite einen dicken Tweedmantel und eine Mütze aus dem gleichen Material. Der dritte war uniformiert. Er trug eine Schirmmütze und einen dunkelblauen Uniformmantel, auf dessen Ärmel drei silberne Streifen saßen. Sie nickten dem Beamten kurz zu. Er war so beschäftigt, daß er ihnen nur über die Schulter weg zurief: »Mit Ihnen hatte ich schon gar nicht mehr gerechnet. Inzwischen habe ich den Flugplatz von Hucknall angerufen; und ein Wagen holt ihn gleich ab.«
Werra erhob sich gemächlich und lehnte sich neben den Kamin an die Wand. Vor Enttäuschung wäre ihm beinahe übel geworden, aber er zeigte es nicht. Nur noch zehn Minuten! … Schlimmer noch! Er hatte gehofft, nur mit einem einzelnen Polizisten zu tun zu haben. Und statt dessen hatte er jetzt die ganze ›Gestapo‹ auf dem Hals: das also waren die Beamten vom CID, der britischen Kriminalpolizei in Zivil – ›Criminal Investigation Department‹ genannt.
Die drei Männer kamen in den Raum und stellten sich ihm gegenüber vor den Kamin auf. Schweigend starrten sie ihn an. Der Ausdruck ihrer Gesichter war weder freundlich noch mißtrauisch, ihre Blicke zeigten ein kaltes, gleichgültiges, fast klinisches Interesse. Sie hätten ebensogut einen alten Fahrplan studieren können.
Sie standen ganz einfach da und sahen ihn an. Hinter ihnen schob sich langsam eine Menschenschlange an das Schalterfenster heran, vor dem Sam Eaton arbeitete, kassierte und stempelte. Die Menschen gingen weiter, neue traten heran und warfen ihr Geld auf den Zahltisch. Nicht einer von ihnen ahnte, was sich zwischen den vier Männern im Hintergrund abspielte …
Endlich blickte der Mann im grauen Hut auf den Tisch hinunter. Fasziniert folgten ihm von Werras Augen. Da lag die ›Times‹, lagen seine Handschuhe, eine offene Packung ›Players‹-Zigaretten, eine Schachtel ›Swan‹-Streichhölzer, die Reste eines Riegels Cadbury-Schokolade, ein wenig verschüttete Milch, verstreuter Zucker – und da lag auch das Telegramm-Formular, auf das er Namen und Dienstgrad geschrieben hatte.
Der Kriminalbeamte nahm das Papier auf und las es durch. Plötzlich hob er den Kopf und fragte scharf in deutscher Sprache:
»Sprechen Sie Deutsch?«
Er hatte vor einer Viertelstunde die Meldung erhalten, daß fünf deutsche Offiziere aus dem Lager Swanwick, keine zwanzig Kilometer entfernt, ausgebrochen waren und daß man einen von ihnen beobachtet hatte, der sich in Richtung Codnor Park bewegte …
Die Frage des Kriminalbeamten drang wie ein scharfes Messer in Werras Hirn. Wußten die Leute schon etwas? War die Flucht vorzeitig entdeckt worden? Oder war das eine polizeiliche Routinefrage, die in den Tagen der Angst vor einer deutschen Invasion an jeden Fremden zuerst gestellt wurde?
Hinter ihm knallte der Fahrkartenautomat, Wechselgeld klirrte, Männer sprachen halblaut, ein junges Mädchen mit leuchtendbuntem Kopftuch ließ plötzlich ihre Tasche fallen und kicherte darüber, als sei es furchtbar komisch. Werra stand und starrte die drei Polizisten an, die ihn nicht aus den Augen ließen.
Langsam öffnete er den Mund und sagte auf englisch: »Ich spreche ein wenig Deutsch. Fast alle Holländer lernen es. Aber ich spreche besser Englisch.«
Es war die beste Antwort, die er geben konnte. Ein glattes Ja, ein glattes Nein – beides hätte Verdacht erregt. Die Polizisten sahen sich an, der Mann mit dem steifen Hut und dem Regenmantel, der die Frage gestellt hatte, gab einen grunzenden Ton von sich, es klang, als ob er mit der Antwort zufrieden sei.
Zeit gewinnen! Bloß Zeit gewinnen! dachte Werra. Der Wagen vom Flugplatz Hucknall mußte jeden Augenblick kommen, und wenn die Polizisten sahen, daß die RAF sich bereits mit ihm beschäftigte, dann würde ihr Interesse an seiner
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