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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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Schokolade war um diese Zeit auch in England ein unerhörter Luxus.
    Erst gegen Abend trafen zwei Vorgesetzte des Polizisten ein, nahmen an dem Familienanschluss der beiden Gefangenen sichtlich Anstoß, verhörten sie und ließen sie in die einzige Zelle des Gefängnisses von Mottram sperren.
    Als die Vorgesetzten wieder abgezogen waren, entschuldigte sich der Konstabler von Mottram für diese Unfreundlichkeit, und die beiden kleinen Töchter kamen an die Zellentür, um den guten Onkels eine angenehme Nachtruhe zu wünschen.
    ***
    Franz von Werra aber hatte inzwischen einen Tag hinter sich gebracht, der noch für viele Monate das Gespräch in allen Kasinos der Royal Air Force bilden sollte.
    Es war genau 8.50 Uhr vormittags, als er sich aus dem Adjutantenzimmer des Flugplatzes Hucknall davonmachte, die Tür mit der Aufschrift ›Gentlemen‹ öffnete und mit einem Krach von außen wieder zuschlug. Auf den Zehenspitzen schlich er den Flur hinunter zum Ausgang und sah vorsichtig hinaus. Kein Mensch, keine Wache, auch der Fahrer mit seiner Pistole war nicht zu sehen. Und der weite Flugplatz lag immer noch ausgestorben da. Wie eine riesige Orange hing die Sonne über dem Horizont, und der Raureif flimmerte rosafarben von den Büschen. Hinter ihm telefonierte der Adjutant mit dem Flugplatz Dyce in Schottland. Die Verbindung war miserabel, das Gespräch erschöpfte sich in wütenden Verständigungsversuchen.
    Während Werra kurz die Lage peilte, hörte er noch in seinem Rücken den Kampf des Oberleutnants Plant mit der Fernsprechtechnik:
    »Hallo, Dyce! Aber verstehen Sie doch! Hier spricht Hucknall … Herrgott, gehen Sie doch aus der Leitung, Fräulein! – Dyce! – Ein Pilot von einer Wellington -Was? – Ja, ein holländischer Pilot …«
    Werra wußte, daß es jetzt um Sekunden ging. Er lief um das Stabsgebäude herum, huschte unter den Fenstern des Adjutantenzimmers vorbei, hörte noch einmal die abgerissenen Sätze und Ausrufe des britischen Offiziers, schlug einen Haken nach rechts und rannte die Asphaltstraße am Rande des Platzes hinunter in Richtung auf die äußere Rollbahn. Da hinten bei den Hangars hatte er vorhin die startklaren Jagdflugzeuge gesehen. Er mußte die ›Hurricanes‹ erreichen, bevor es dem Offizier vom Dienst gelang, seine Geschichte zu entlarven.
    Verdammt – und dabei war diese Geschichte so gut gewesen!
    Er rannte die Straße entlang, der Atem wehte stoßweise aus seinem Mund, wie der Dampf aus einer Lokomotive. Die Richtung mußte stimmen, wenn auch die Baracken und Steingebäude der Unterkünfte jetzt den Blick auf das Rollfeld verdeckten. Er sah sich um – noch immer war kein Mensch zu sehen. Offenbar telefonierte der Adjutant noch. Und plötzlich, am Ende der Straße, wurden die Hangars sichtbar und vor der graugrünen Tarnfarbe ihrer Hallentore die beiden Jagdmaschinen. Noch ein gutes Stück entfernt. Er verschärfte das Tempo.
    Wenn ihm jetzt nur keine Flugschüler in die Quere kamen! Was würden die Polen tun, wenn der Adjutant Großalarm gab? Wahrscheinlich würden sie ihn für einen deutschen Spion halten, und da sie aus begreiflichen Gründen einen tödlichen Hass gegen alles Deutsche hegten, würden sie ihn sicher erst zusammenschlagen und dann fragen, wer er eigentlich sei.
    Keine angenehme Aussicht, wenn man kein Wort Polnisch sprach, um sich am Ende auch noch aus dieser Klemme zu ziehen! Und da die Polen wahrscheinlich sein Englisch nicht verstehen würden, war eine Verständigung so gut wie ausgeschlossen. Nein, er durfte einfach nicht erwischt werden!
    Wieviel Zeit noch? Höchstens fünf Minuten. Er rannte wie ein Verrückter von der Asphaltstraße querfeldein, um die Strecke abzukürzen, sein Atem flog, in seinem Hirn kreiste der Zeiger der Uhr, und das Blut schlug in seinen Adern. Was mußte in diesen fünf Minuten noch alles geschehen … Er mußte eine Jagdmaschine finden, die startklar war.
    Die Maschine mußte trotz der Kälte anspringen.
    Sie mußte aufgetankt sein.
    Er mußte sich mit der Bedienung des Vogels auskennen …
    Werra hatte keine Ahnung, wie groß der Unterschied zwischen dem Instrumentenbrett einer ›Hurricane‹ und einer ›Me 109‹ war. Immerhin, Kompass, Wendezeiger, Künstlicher Horizont würden wahrscheinlich dieselben sein … und außerdem, man würde ja sehen, Hauptsache, erst mal herankommen!
    Und wenn er erst im Cockpit saß, dann würde er auch starten. Mochten sie ihm ruhig nachschießen, mochten sie brüllen vor Wut – er

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