Einer kam durch
blanke Vorwurf: Hältst du mich für einen Spion? Betretenes Schweigen folgte. Dann schnalzte der britische Offizier mit der Zunge.
»Ja, natürlich. Sie haben recht. Aber, verdammt noch mal – bitte um Verzeihung –, irgendwie müssen Sie sich doch ausweisen. Wenn doch nur endlich dieses Dyce käme! Schlafen wohl noch. Schön. Sie haben die Form Zwölf-Fünfzig nicht bei sich – aber Sie haben sicher Ihre Erkennungsmarke!«
Mit keiner Miene verriet Franz von Werra seine Befriedigung darüber, daß er den Engländer jetzt endlich dort hatte, wohin er ihn haben wollte. Natürlich hatte er eine Erkennungsmarke – eine perfekte Kopie der britischen Erkennungsmarken. Nicht umsonst hatten die Kameraden in Swanwick tagelang daran gearbeitet. Aus gefärbter Hartpappe hatten sie täuschend ähnliche Marken hergestellt, und um das genaue Gewicht der britischen Originalmarken zu erreichen, hatten sie die Pappe gespalten, in der Mitte durch Zinn aus einer Zahnpastatube verstärkt und das Ganze wieder mit Harz aus den Astlöchern der Holzwände des Gartenhauses verklebt. Diese Marke war sozusagen das Trumpfas in seinem Spiel. Und nun würde er es ausspielen. Erst würde er den Engländer noch ein bißchen zappeln lassen, und dann würde er ihm das Ding auf den Tisch hauen. Da hast du sie! Glaubst du jetzt noch, daß ich ein Spion bin?
»Natürlich habe ich eine Erkennungsmarke«, sagte er, immer noch etwas befremdet. »Die hat schließlich jeder. Sie wollen sie sehen?«
»Ja, wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
»Ich finde, Sie sind reichlich mißtrauisch. Aber wie Sie wünschen …«
Er öffnete gelangweilt den Reißverschluss zum zweiten Mal. Wieder zwickte der Wollfaden dazwischen, aber diesmal zog er den Schieber noch einmal nach oben, um ihn dann mit Schwung wieder herunterzureißen. Dann fuhr er mit der Hand unter den schottischen Schal, öffnete sein Luftwaffenhemd, sein Unterhemd. Er hatte die Marke, wie es auch in England Vorschrift war, an einer Schnur um den Hals gehängt – nicht einfach in eine Tasche gesteckt, wie viele Soldaten es zu tun pflegten. Er fand die Schnur und fuhr an ihr entlang. Dann hatte er die Marke in der Hand – und glaubte, er müsse vor den Augen des britischen Offiziers in den Boden versinken …
Die Marke war zwar noch vorhanden. Aber Körperhitze und Schweiß hatten sie zu einem klebrigen Etwas zusammenschrumpfen lassen. Da war nichts mehr als ein Gemisch von durchweichter Pappe und aufgelöstem Harz – da war nichts, was man einem misstrauischen Engländer als Wahrheitsbeweis hätte vorzeigen können.
Sein Gesicht war auf einmal ganz leer und erschrocken.
»Tut mir wirklich leid, Captain, daß ich darauf bestehen muß …«
Mit Mühe stammelte Werra:
»… verdammtes Ding … muß in die Hose gerutscht sein … Abgerissen von der Schnur … Moment, ganz ausziehen …«
Und dann läutete das Telefon zum zweiten Mal.
»Was gibt's?« Sein Gesicht wurde plötzlich angespannt. »Dyce? Ja, geben Sie her. War auch Zeit! Hallo … Hallo, Hucknall speaking … what? …« Er preßte verzweifelt den Finger ins linke Ohr, um mit dem rechten besser hören zu können.
Es waren die letzten Sekunden der Freiheit. Franz von Werra richtete sich auf und schloß den Reißverschluss. Seine Fingerspitzen klebten von dem Harz. Der Engländer schien Schwierigkeiten mit der Verständigung zu haben. Werra ging auf Zehenspitzen durch den Raum und öffnete die Tür zum Korridor. Der Gang war leer.
Er warf einen Blick zurück. Der Offizier vom Dienst sah im gleichen Moment über seine Schulter. Werra machte eine Bewegung, als wasche er seine Hände unter einem unsichtbaren Wasserstrahl.
»He?« fragte der Engländer und zog den Finger aus dem Ohr.
»Gleich zurück … nur Hände waschen!« flüsterte Werra eindringlich. Er ließ die Tür offen, ging Schritt für Schritt in ganz normalem Tempo zu dem schräg gegenüberliegenden Raum mit der Aufschrift ›Gentlemen‹, öffnete die Tür, knallte sie wieder zu – von außen natürlich – und dann flitzte er auf den Zehenspitzen den Korridor entlang und die paar Stufen zum Ausgang hinunter. Das letzte, was er von dem Mann im Adjutantenzimmer gehört hatte, waren abgehackte Worte, mit äußerster Lautstärke in die Muschel gebrüllt. »… Captain … van … Lott … ja, zwei Worte! Ich buchstabiere. Was? Welche was? … Welche Natio – ah, verstehe. Ein Holländer. Dutch! Nein, nicht scotch! Kein Schotte, Holländer!
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