Einer kam durch
Geschmack! Zu Hause würden sie staunen …
Noch einmal rekapitulierte er, was er von den Erklärungen des Monteurs verstanden hatte. Das war der Höhenmesser, er zeigte die Höhe in Fuß an – man mußte die Zahl in Meter umrechnen. Wieviel Meter war nun ein … Er hörte ein Summen und blickte auf. Da kam wahrhaftig der Monteur auf dem Trittbrett eines kleinen roten Elektrokarrens angebrummt. Im Schlepptau hatte er den Akku-Wagen. Endlich! Werras Herz begann zu klopfen. Seine Hände hingen zwischen den Knien, sie waren feucht vor Nervosität. Dafür war seine Kehle trocken. Er schluckte vor Aufregung.
Der Mann kurvte um die Steuerbordtragfläche herum und hielt so, daß der Wagen mit dem Aggregat genau an der richtigen Stelle stand. Er blinzelte Werra zu, sprang ab, nahm das drahtbespannte Kabel des Akkus über die Schulter, zerrte es an den Motor und schickte sich an, es anzuschließen. Werra griff nach dem Choker. Sein Finger war bereit, den Starterknopf zu drücken. Er wartete nur auf das »Ready, Sir!« des Mechanikers.
Wieder begann das Flugzeug leicht zu zittern. Werra achtete nicht darauf. Seine Finger zogen den Choker hin und her.
In diesem Augenblick sagte eine ruhige Stimme hinter ihm:
»Steigen Sie aus!«
Er wandte langsam, ungläubig den Kopf. Das erste, was er unmittelbar hinter sich über dem Rand der Kabine sah, war der blankgeputzte Knopf an einer RAF-Offiziersuniform. Daneben aber, eine Handbreit nur daneben, war ein kleines schwarzes Loch, umgeben von bläulich glänzendem Metall. Eine Pistolenmündung.
Werras Blick fuhr an den Knöpfen hoch, über eine schwarze Krawatte, ein vorgestrecktes Kinn, einen Mund, dessen Lippen grimmig aufeinandergepreßt waren – und dann sah er in zwei kalte eisblaue Augen.
Es war ›Mister Boniface‹.
»Steigen Sie aus!« wiederholte der Offizier. Die Mündung der Pistole zeigte genau auf Franz von Werras Stirn.
Captain, wollen Sie denn nicht starten?
Die elektrische Normaluhr an der Stirnwand der Flugzeughalle von Hucknall zeigte genau auf 9 Uhr 22 Minuten, als der Monteur Edward Crossfield ein paar Schritte zurücktrat, seinen gestreiften Schlips, der ihm beim Bücken herausgerutscht war, wieder in den Ausschnitt stopfte und zur Kanzel des Flugzeugs hinaufrief: »Ready, Sir!«
Aber auf dieses »Fertig!« erfolgte nichts. Und auch dann, als Crossfield um die Backbordfläche der silbern glänzenden Hurricane herumgegangen war und den rechten Arm hob zum Zeichen, daß der Akkumulator angeschlossen sei und daß Captain van Lott den Motor nun starten könne – auch dann blieb alles ruhig.
Der Monteur blinzelte ein bißchen gegen die grelle Morgensonne, legte die Hand wie einen Schirm über die Augen, ging näher an die Maschine heran und sah, daß die Kanzel leer war. Der holländische Flieger war verschwunden.
Die Uhr, wie gesagt, zeigte auf 22 Minuten nach neun. Captain William van Lott, holländischer Bomberflieger in der britischen Royal Air Force, hatte diese Rolle also nur eine Stunde und siebenundzwanzig Minuten durchhalten können, bis aus ihm wieder der entflohene deutsche Gefangene Oberleutnant Franz von Werra geworden war, wenige Minuten, bevor es ihm hätte gelingen müssen, mit einer britischen Jagdmaschine zu starten, aufzusteigen und in die Freiheit davonzufliegen.
Crossfield blickte sich um, in einiger Entfernung sah er den Flieger davongehen, dicht gefolgt von einem britischen Offizier. »Heeij, Captain!« rief er, »ich habe den Anlasser jetzt hier – wollen Sie denn nicht starten? Nachher wird das Ding ja wieder gebraucht!«
Aber keiner der beiden sah sich auch nur um, und woher sollte der Monteur schließlich wissen, daß der britische Offizier eine Pistole in der Hand hielt, deren Mündung genau auf den Rücken des vor ihm gehenden Fliegers zeigte.
Edward Crossfield schüttelte den Kopf. Mit diesen Holländern sollte sich nun einer auskennen – erst machte der Kerl einen verrückt wegen des Aggregats, und dann lief er einfach davon …
***
Franz von Werra setzte einen Schritt vor den anderen. Er meinte, die Pistole in seinem Rücken zu spüren, hörte auf dem Betonpflaster den Gleichklang seiner Schritte mit denen des hinter ihm gehenden Flying Officers Thomas Plant, den er immer noch für ›Mister Boniface‹, den Stellvertreter des Adjutanten von Hucknall, hielt – ein Irrtum, der sich für Werra übrigens niemals aufklären sollte.
Jedenfalls war der Mann Engländer, er würde wissen, daß einem geflohenen
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