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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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Kriegsgefangenen nach den Bestimmungen der Genfer Konvention nichts angetan werden durfte, außer einer disziplinaren Bestrafung natürlich, die in der Regel zwanzig Tage Arrest nicht überschritt, die Höchststrafe für wiederholten Fluchtversuch betrug 28 Tage.
    Aber wußte der Engländer denn überhaupt, wer er war? Vorhin hatte Werra es ihm erklären wollen, als er über den Rand des Cockpits in die bläulich schimmernde Mündung der Pistole geblickt hatte, aber der Brite hatte ihm einfach das Wort abgeschnitten: »Los, steigen Sie aus, machen Sie keine Geschichten – oder ich schieße!«
    Schritt für Schritt an den beiden Hallen entlang, über die Asphaltstraße … »Gehen Sie links!« sagte die Stimme hinter ihm … sie kürzten einen Bogen der Straße ab über eine braune, dicht verwurzelte Grasfläche … dann wieder auf dem Asphalt, in gerader Richtung auf die Baracken und die flachen Backsteinhäuser der Flugplatzkommandantur zu.
    Ein Unteroffizier kam angerannt, tippte im Laufen mit der Hand an die Mütze und fragte in schauderhaftem Englisch:
    »Leutnant Podolski läßt fragen, ob er die Männer wegtreten lassen kann?«
    »Um Himmels willen, nein!« fuhr der britische Offizier ihn an. »Leutnant Podolski soll den Platz und die Flugleitung unter Bewachung halten, bis wir wissen, was hier wirklich gespielt wird! Laufen Sie zum Kontrollturm und lassen Sie sofort Start- und Landeverbot für alle Maschinen ansagen!«
    »Yes, Sir. Start- und Landeverbot für alle Maschinen.« Der Unteroffizier rannte davon.
    Leutnant Podolski?
    Erst als er den Namen hörte, fiel dem Gefangenen wieder ein, daß Hucknall ein polnischer Übungsplatz war. Aber was zum Teufel hatte das Start- und Landeverbot zu bedeuten? Was sollte die Bemerkung, daß man erst wissen müßte, was hier eigentlich gespielt würde? Und was war das für ein Geräusch von vielen Schritten in seinem Rücken – viele Schritte, die rasch näher kamen?
    Werra sah sich um. »Go on!« herrschte ihn der Engländer an, aber Werra hatte genug gesehen. Eine Rotte von etwa fünfzig Soldaten stürmte von hinten auf die Gruppe los, er hörte sie nun auch rufen, fremdartige Worte, höhnisches Gelächter klang dazwischen auf, einzelne Hasserfüllte Schreie … und da – nein, er hatte sich nicht geirrt –, da rief einer gellend und in gebrochenem Deutsch: »Totschlagen – deutsches Schwein! Schlagt deutsches Schwein tot!«
    Im Nu waren sie umringt. »Go ahead!« sagte der Engländer und stieß Werra die Pistole zwischen die Schulterblätter. »Go ahead!«, »Los, gehen Sie!« zischte er – und seine Stimme klang auf einmal nervös, als ob er fürchtete, seinen Gefangenen gegen die Wut der Polen nicht schützen zu können.
    Der Deutsche fühlte die klirrende Kälte des Morgens nicht. Seine Hände waren heiß, sie wurden langsam feucht vor Aufregung, er riß den wollenen Schal aus seiner Kombination … »Deutsches Nazischwein!« gellte der Schrei wieder, und »totschlagen!« kam es nun von mehreren Seiten aus dem Gewirr der polnischen Rufe. Schweißtropfen bildeten sich auf Werras Stirn, liefen salzig und beißend in seine Augenwinkel, und während er sich mit dem Ärmel über das Gesicht wischte, kroch in seinem Herzen die Angst hoch, die nackte Angst vor der nächsten Sekunde, in der die Meute ihn seinem Bewacher entreißen würde, um ihn auf der Stelle zu Tode zu trampeln …
    »Stoitje!« –
    Eine herrische Stimme war zwischen das Geschrei gefahren, die polnischen Soldaten verstummten augenblicklich, gingen zur Seite, und nun trat ein hochgewachsener Offizier auf die Gruppe zu. Als er grüßend die Hand an die flache Tellermütze legte, sah Werra einen Moment lang in zwei schmale hellgraue Augen, deren Licht in auffallendem Gegensatz zu der gebräunten Haut seines schlanken Gesichtes stand. Ein sorgfältig gestutzter eisengrauer Schnurrbart gab diesem Gesicht einen Zug von weltmännischer Überlegenheit, und die kavaliersmäßige Eleganz, mit welcher der Offizier die Uniform eines britischen Fliegermajors trug, erweckte in Franz von Werra sofort die Vorstellung von einem österreichischen k.u.k. Offizier. Sie hatten im Jagdgeschwader einmal einen Hauptmann gehabt, einen Österreicher, dessen Familie aus der Gegend von Czernowitz in der rumänischen Bukowina stammte, Hauptmann von Sobrowski hatte er geheißen, und sie hatten ihn immer nur den ›fliegenden Herrenreiter‹ genannt. Der hätte wohl ein jüngerer Bruder dieses polnischen Majors

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