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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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herausgeholfen hatte? Auch das wäre nicht weiter verwunderlich. Wie leicht war es doch, blind für das Schlechte in einem Menschen zu sein, den man mochte, blind für das Hässliche, zu dem er in der Lage war, und blind für Schwächen, die zu schlimm waren, um wohlwollend übergangen zu werden. Sie war froh, dass Rupert ihr Freund war, jemand, dem sie zutiefst dankbar war, doch mit dem sie nicht durch Verwandtschaft oder gar Liebe verbunden war.
    Welcher entsetzliche Schock mochte Margaret noch bevorstehen, falls Sullivan die Wahrheit über Arthur Ballinger gesagt hatte und sie eines Tages dazu gezwungen sein würde, das zur Kenntnis zu nehmen? Das würde ihre Gefühle von Treue und Loyalität zunichtemachen. Ihr ganzes Gewebe aus Liebe und Glaube wäre bedroht. Margaret stand zu ihrem Vater; natürlich liebte sie ihn, so wie Rupert den seinen. Und vielleicht hatte er sogar noch mehr Grund, zu ihm zu halten. Sein Vater hatte ihn beschützt – ob zu Recht oder zu Unrecht. Das musste ihn erheblich mehr gekostet haben, als sich in Geldsummen ausdrücken ließe, und doch hatte er seinen Sohn nie fallenlassen. Das wusste sie, denn sie hatte zwischen den Zeilen gelesen, wenn Rupert etwas erwähnt hatte, oft beiläufig, und dabei seine innere Bewegung verbarg. Doch sie hatte die angespannten Muskeln in seinem Gesicht bemerkt, das wehmütige Lächeln, den ausweichenden Blick. Er kannte Liebe – die endlose Vergebung – und vertraute darauf, wenn er sie nicht vielleicht sogar benutzte.
    Ja, die Liebe kannte Vergebung, aber konnte sie alles vergeben? Sollte sie das überhaupt? Welche Treuepflichten kamen zuerst? Die zur Familie? Oder der Glaube an Recht und Unrecht? Was hatte Vorrang?
    Wie verhielt es sich mit ihrem eigenen Vater? Der Schmerz hatte sich in tiefe Schichten eingegraben, in die sie nicht vorzudringen wagte. War er allein, verraten und beschämt gestorben, während sie fortgegangen war, um auf der Krim Fremde zu pflegen? Was für eine Art von Liebe war das? Konnte ihre Unkenntnis seiner Not sie entschuldigen? Manchmal glaubte sie das. Dann wiederum erfasste sie bei der bloßen Erinnerung an ein Wort, an einen Blick ein brennendes, unendlich schmerzhaftes Mitleid, und all ihre Rechtfertigungen fielen in sich zusammen.
    »Hester?« Ruperts Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
    Sie blickte auf. »Ja? Sie haben recht. Das klingt, als wäre das Schicksal härter zu Phillips gewesen, als es die Justiz je vermocht hätte.« Und damit war das schreiende Gesicht in ihr Bewusstsein zurückgekehrt.
    Am späten Vormittag suchte Monk Oliver Rathbones Kanzlei in der City auf, nur um vom Sekretär höflich darüber informiert zu werden, dass Sir Oliver zum Speisen ausgegangen war. Pünktlich um halb drei fand Monk sich wieder ein, wurde aber trotzdem aufgefordert zu warten. Es wäre wohl leichter gewesen, Rathbone am Abend in seinem Haus zu erreichen, wenn er Zeit hatte, doch Monk musste ihn sprechen, ohne dass Margaret zugegen war.
    Um Viertel vor drei kehrte Rathbone zurück. Beim Eintreten stellte er ein Lächeln und ein elegantes Gebaren zur Schau, die ihn immer auszeichneten, wenn er den Geschmack des Sieges noch frisch auf der Zunge hatte.
    »Hallo, Monk!«, rief er überrascht. »Haben Sie schon wieder einen neuen Fall für mich?« Er kam herein und zog die Tür leise zu. Sein blassgrauer Anzug war hervorragend geschnitten und saß vortrefflich an seiner schlanken Gestalt. Durch die hohen Fenster schien das Sonnenlicht herein und schimmerte auf seinem blonden, an den Schläfen grau melierten Haar.
    »Nein«, antwortete Monk. »Und hoffentlich bringe ich auch so bald keinen mehr. Aber diese Sache kann ich nicht auf sich beruhen lassen.«
    »Wovon reden Sie?« Rathbone setzte sich und schlug die Beine übereinander. So wirkte er entspannt, auch wenn er es in Wahrheit keineswegs war. »Sie sehen aus, als wären Sie gerade unabsichtlich in ein fremdes Schlafzimmer geplatzt.«
    Monk zog ein schiefes Gesicht. »Das kann durchaus sein.« Der Vergleich hatte nur der Veranschaulichung gedient, doch er kam der Wahrheit ziemlich nahe.
    Rathbone musterte seinen Freund ruhig, sein Gesichtsausdruck war ernst. »Es ist nicht Ihre Art, die Fakten zu verschleiern. Wie schlimm ist es?«
    Was er zu sagen hatte, widerstrebte Monk zutiefst. Sogar jetzt noch überlegte er, ob es nicht eine letzte, verzweifelte Möglichkeit gäbe, es zu vermeiden. »In der Nacht damals auf Phillips’ Boot, als wir Scuff und die anderen Jungen fanden,

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