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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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weit ist er gegen die Strömung ins Wasser rausgelaufen?«
    Monks Gedanken drehten sich um die Einblutungen in den Augen des Toten. Sie sahen nicht aus wie die Augen eines Menschen, der ertrunken war. Erneut bückte er sich und hob erst das eine, dann das andere Lid an. Sorgfältig knöpfte er die Jacke und den Kragen des nassen Hemdes auf und legte den dünnen Hals frei.
    Orme sog die Luft zwischen den Zähnen ein.
    »O Gott!«, ächzte Coburn.
    Die Kehle war grauenerregend geschwollen, noch immer war der dünne Abdruck eines Strangs zu erkennen, der sich tief ins Fleisch gegraben hatte. In unregelmäßigen Abständen von jeweils mehreren Zentimetern prangten ausgedehnte Blutergüsse, als hätte der Strang Knoten aufgewiesen, die alles noch viel schlimmer gemacht hatten.
    »Das kann unmöglich ein Unfall gewesen sein«, stieß Monk grimmig hervor. »Ich fürchte, wir haben es eindeutig mit Mord zu tun. Lassen Sie ihn uns aus dem Wasser ziehen und dann den Polizeiarzt holen, damit der uns seine Sicht darstellen kann. Wir werden mit Mr ’Orrie Jones sprechen, der ihn so rein zufällig entdeckt hat. Und mit Tosh. Wie lautet eigentlich der Rest seines Namens?« Er wandte sich mit fragendem Blick an Coburn.
    »Den hab ich nie gehört«, sagte der Constable.
    Sie wateten an Land. Orme und Coburn zogen die Leiche; zu dritt hoben sie sie dann ans Ufer, ehe sie selbst hinterherkletterten. Dabei mussten sie sich mit den Händen abstützen, da der Schlamm unter ihren Füßen immer wieder nachgab. Das hätte Monk gerade noch gefehlt, dass er in voller Montur ins Wasser gefallen und bis auf die Haut nass geworden wäre. Es war schlimm genug, dass seine Schuhe aufgeweicht waren und die Hosenbeine kalt an der Haut klebten.
    Sie legten den Toten auf einen Pferdekarren, nach dem Coburn hatte schicken lassen, und folgten ihm dann in einem düsteren Marsch über die Felder zur Straße. Dort angekommen, kletterten sie für den Rest des Weges auf den Karren.
    Nur langsam gewöhnte sich Monk an die Gezeitenwechsel der Themse, die sich sogar so weit oben stromaufwärts noch auswirkten. Ursprünglich hatte er angenommen, die Strömung hätte den Toten in Richtung Meer getragen, aber gerade noch rechtzeitig hatte er sich auf die Zunge gebissen, bevor er seine Ahnungslosigkeit offenbaren konnte.
    »Wie weit, glauben Sie, hat ihn das Wasser schon geschwemmt?«, fragte er laut. Unwissen hinsichtlich der örtlichen Gezeitenströmungen konnte man sich leisten, denn hier kamen gleich mehrere verschiedene Faktoren ins Spiel: Fließgeschwindigkeit, Strömungen, Hindernisse und auch der Zeitpunkt, zu dem der Tote im Wasser gelandet war.
    »Kommt darauf an, wo er rein is’«, brummte Coburn, auf der Unterlippe kauend. Mit einem Ruck an den Zügeln lenkte er das Pferd nach rechts, auf Chiswick zu. »Könnte in beide Richtungen getragen worden sein, wenn am Ufer nix im Weg lag, das ihn aufhielt. Lässt sich schwer beurteilen.«
    »Gibt es so weit oben noch viele Lastkähne?«, erkundigte sich Monk. Auf dem ganzen Weg hierher hatte er nur zwei gesehen, und inzwischen ging es auf Mittag zu.
    »Nich’ viele«, antwortete Coburn. »Und die halten sich normalerweise so weit wie möglich in der Mitte. Keiner will auf ’ner Sandbank oder umgestürzten Baumstämmen auflaufen oder sich in Müll verheddern. Es is’ leichter, rauszufinden, was er im Wasser überhaupt vorhatte, als vom Fundort darauf zu schließen, wo er rein is’.«
    Das Städtchen war knapp eine Meile entfernt, und als sie den Ortskern erreichten, herrschte strahlender Sonnenschein. Auf den Straßen wimmelte es von Karren, Kutschen und Lastenwagen aller Arten, und auf den Bürgersteigen drängten sich die Menschen. Vor den Landestegen lagen mehrere Bargen, die eifrig be- und entladen wurden.
    Der Polizeiarzt, der aus London eingetroffen war, nahm die sterblichen Überreste von Mickey Parfitt in Empfang und versprach, beizeiten einen Bericht zu erstellen. Er schien geradezu darauf zu warten, dass jemand widersprach und ihn zur Eile drängte, doch nichts dergleichen geschah. Monk wusste ja schon, dass Parfitt erdrosselt worden war und davor einen festen Schlag auf den Kopf bekommen hatte. Schließlich hatte es keinen Sinn, einen Mann niederzuschlagen, wenn er bereits tot war. Die Waffe, mit der er getroffen worden war, hätte so gut wie jeder Gegenstand sein können. Viel interessanter war die Frage, womit er erdrosselt worden war. Eine erste Ahnung vermittelte die Form der Blutergüsse. Um

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