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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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haben Sie mir gesagt, dass Margarets Vater dahinterstecke …«
    »Ich habe Ihnen gesagt, dass Sullivan das behauptet hatte«, unterbrach Rathbone ihn hastig. »Er hatte keine Beweise, und jetzt ist er tot, durch seine eigene Hand gestorben. Was immer er wusste, hat er mit sich genommen.«
    »Seine Antworten mögen mit ihm untergegangen sein …« Monk wandte den Blick nicht von Rathbones Augen. »Aber die Frage ist es nicht. Irgendjemand steckt dahinter. Phillips hatte weder das Geld noch die Verbindungen zur besseren Gesellschaft, um ein solches Boot zu betreiben und Kunden zu finden, die angreifbar waren, geschweige denn, sie später zu erpressen.«
    »Könnte es nicht Sullivan selbst gewesen sein?«, warf Rathbone ein, mied jedoch Monks Blick.
    Darauf antwortete Monk gar nicht erst. Sie wussten beide, dass Sullivan weder die Kaltblütigkeit noch die Gerissenheit besessen hatte, die für so etwas nötig gewesen wären. Er war ein Mann, den die eigenen Gelüste erst ruiniert und am Ende getötet hatten – letztlich ein Opfer mehr.
    Rathbone hob wieder den Blick. »Na gut, nicht Sullivan. Er könnte aber die Schuld auf jemanden abgewälzt haben – Hauptsache, es traf nicht ihn. Und warum ausgerechnet Ballinger? Es liegt nichts vor, was Schritte gegen ihn rechtfertigen könnte. Sullivan war ein verzweifelter Jammerlappen. Und jetzt ist er mausetot. Er hat Phillips mit in den Tod genommen, was kein Mensch redlicher verdient hat. Mehr kann und möchte ich dazu nicht sagen. Das Boot ist zerlegt worden, die Jungen sind frei. Lassen wir die anderen Opfer ihre Wunden in Frieden pflegen.« Seine Züge verzerrten sich vor Abscheu, der zu tief war, um sich verbergen zu lassen. »Pornografie ist grausam und obszön, aber es gibt keine Möglichkeit zu verhindern, dass Männer sich im eigenen Haus anschauen, was immer sie sehen wollen. Wenn Sie auf einen Kreuzzug aus sind, gibt es lohnenswertere Anlässe.«
    »Ich will Scuffs Kummer ein Ende setzen«, entgegnete Monk. »Und um das zu erreichen, muss ich dafür sorgen, dass kein anderer Junge mehr das Schicksal der Freunde erleidet, die er zurückgelassen hat.«
    »Ich werde Ihnen helfen – aber nur im Rahmen des Gesetzes.«
    Monk erhob sich. »Ich will jeden, der dahintersteckt.«
    »Liefern Sie mir Beweise, und ich erhebe Anklage«, versprach Rathbone. »Aber an einer Hexenjagd werde ich mich nicht beteiligen. Wagen Sie es bloß nicht … oder Sie werden es bereuen. Hexenjagden geraten schnell außer Kontrolle. Und dann müssen Unschuldige leiden. Sehen Sie sich also vor, Monk.«
    Darauf antwortete Monk nichts. Er schüttelte Rathbone die Hand und ging.

2
    Es war früh am Morgen, und Corney Reach lag verlassen da. Der dichte Nebel verlieh dem Fluss etwas Gespenstisches; man konnte fast meinen, die glatte, düstere Wasserfläche erstrecke sich bis an den Horizont. Die Schwaden strichen einem um das Kinn und füllten die Nase mit ihrem alles durchdringenden Geruch.
    Hier am Südufer, wo die Bäume über den Fluss ragten, hingen die Äste so tief, dass sie bisweilen fast die Wasseroberfläche berührten. Innerhalb von weniger als fünfzig Metern waren sie nebelverhangen, verschwommen, nach hundert Metern nur noch unbestimmte Formen, deren von Schleiern verhüllte Umrisse zum Rätselraten einluden. Die Stille verschluckte alles bis auf das gelegentliche Säuseln der aufkommenden Flut, wenn sie über die Steine schwappte oder die Wasserpflanzen dicht unterhalb des Ufers umspülte.
    Die Leiche lag regungslos mit dem Gesicht nach unten da. Ihr Mantel und die Haare trieben im Wasser, was sie größer erscheinen ließ, als sie war. Doch obwohl sie halb untergetaucht war, ließen sich die Spuren eines Schlags auf den Hinterkopf deutlich erkennen. Sanft stieß die Strömung den toten Körper gegen Monks Beine. Dieser trat zur Seite, um nicht im Schlamm einzusinken.
    »Soll ich ihn umdrehen, Sir?«, fragte Constable Coburn hilfsbereit.
    Monk fröstelte. Die Kälte steckte in ihm selbst, rührte nicht von der feuchten Frühherbstluft. Er hasste es, die Gesichter von Toten zu betrachten, auch wenn dieser Mann hier womöglich einem Unglück zum Opfer gefallen war. Falls sich das als zutreffend erwies, würde er sich maßlos darüber ärgern, dass man ihn hierher, weit außerhalb der westlichen Randbezirke der Stadt, gerufen hatte. Dann hätte er hier nur seine Zeit vergeudet und mit ihm auch Orme, sein Sergeant, der in einem Abstand von fünf, sechs Metern wie er bis zu den Knien im

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