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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Cardews war, den Verdacht von sich abzuwenden, der sofort nach Ballingers Freispruch zwangsläufig auf ihn fallen würde. Unwillkürlich drehte er sich um und ließ den Blick über die Galerie schweifen. Er erkannte Rupert auf Anhieb. Aschfahl und absolut regungslos stand er da. Diese Sache würde ihn ruinieren. Die Gesellschaft würde ihm nie vergeben, dass er die Namen derer verraten hatte, die genau jene Ehre in den Schmutz gezogen hatten, welche die meisten anstrebten, aber nicht den Mut hatten zu verteidigen.
    Winchester brach die Stille. »Ich werde Mr Cardew in den Zeugenstand rufen, damit er die Namen nennt. Sollte jemand an seinen Worten zweifeln, kann ihn Sir Oliver selbstverständlich ins Kreuzverhör nehmen und bitten, seine Angaben zu beweisen. Ich selbst werde das nicht tun, es sei denn, Euer Ehren bestehen darauf. Dieses Wissen würde allerdings viele Familien ruinieren, Gerichtsentscheidungen und möglicherweise sogar Parlamentsbeschlüsse infrage stellen. Die Möglichkeit zur Erpressung ist von solcher Tragweite, dass das ganze Land …« Er hielt inne und überließ es den Zuhörern, sich den Rest auszumalen.
    »Sir Oliver?«, fragte der Richter mit heiserer Stimme.
    Seine Niederlage war besiegelt, und Rathbone wusste das. Er konnte nicht die Fundamente der Gesellschaft einreißen, nur um Ballinger zu retten, sofern dem Mann überhaupt noch zu helfen war. Die Gesichter der Geschworenen verrieten ihm bereits, dass die Waage der Justiz sich unwiderruflich zu dessen Ungunsten gesenkt hatte. Sie wussten, dass Ballinger gelogen hatte, und zwar wahrscheinlich in allen Punkten. Und so merkwürdig das war, selbst wenn Rupert sich gegen seine eigene gesellschaftliche Klasse gewandt hätte, was ihm nie verziehen worden wäre, glaubten sie ihm und bewunderten ihn vielleicht sogar insgeheim dafür. Er hatte den Weg der Ehrenhaftigkeit gewählt, auch wenn ihn dies einen schrecklichen Preis kostete.
    »Ich … ich habe dem nichts hinzuzufügen, Mylord«, murmelte Rathbone. Erst als er sich wieder gesetzt hatte, kam ihm in den Sinn, dass er vielleicht auf die Veröffentlichung der Namen hätte dringen sollen. Doch einen Wimpernschlag später war ihm klar, dass das keine gute Idee gewesen wäre. Winchester wusste die Namen. Wenn die Möglichkeit dazu bestand, würde er handeln. Er würde jeden Fall von Korruption prüfen, untersuchen und wenn nötig gerichtlich verfolgen. Nicht einmal flüchtig dachte er daran, dass Winchester bluffen konnte. Das widerlegten allein schon Cardews und Ballingers Gesichter.
    In einem letzten, verzweifelten Versuch berief er noch einen Zeugen, doch ihm war bewusst, dass ihm das keinen Erfolg bringen konnte. Das Blatt hatte sich gewendet, und er hatte nicht mehr die Kraft, seinen Erfolg zu erzwingen.
    Eine Stunde lang, die wie eine Ewigkeit schien, zogen sich die Geschworenen zurück. Als sie zurückkamen, verrieten ihre Gesichter bereits das Urteil, bevor sie darum gebeten wurden.
    »Schuldig.« Schlicht. Endgültig.
    Rathbone nahm verschwommen wahr, wie das schwarze Barett dem Richter gereicht wurde, er es sich auf den Kopf setzte und die Todesstrafe verkündete.
    Mrs Ballinger schrie vor Entsetzen auf.
    Margaret glitt ohnmächtig zu Boden.
    Ohne zu überlegen, stemmte Rathbone sich hoch und stürzte zu ihr hinüber. Sie regte sich schon wieder. Gwen war bei ihr und hielt sie an sich gedrückt. Celia und George versuchten unterdessen, Mrs Ballinger zu stützen.
    »Margaret! Margaret!«, rief Rathbone eindringlich. »Margaret?« Er wollte etwas sagen, irgendetwas Tröstliches, doch es gab nur leere Versprechungen, Worthülsen ohne jeden Sinn.
    Margaret öffnete die Augen und starrte ihn voller abgrundtiefer Verachtung an. Dann wandte sie sich von ihm ab und blickte Gwen an.
    Noch nie hatte er sich so allein gefühlt. Zitternd rappelte er sich auf und kehrte zu seinem Pult zurück. Die Zuschauer im Saal tobten, doch Rathbone sah und hörte nichts davon.

13
    Wenn jemand zum Tod durch den Strang verurteilt wurde, verlangte es das Gesetz, dass bis zur Hinrichtung drei Sonntage verstreichen mussten. In der Erfahrung aller war das zugleich die längste wie die kürzeste Frist. Fraglos war es auch die schmerzhafteste Zeit.
    Gegen Ende der ersten Woche saß Rathbone allein in seiner Kanzlei, als sein Diener ihm meldete, dass Hester ihn zu sprechen wünschte.
    Zunächst war Rathbone sich nicht sicher, ob er sie überhaupt sehen wollte. Mitleid, zumal von ihr, wäre nur Salz auf seinen Wunden

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