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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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aufgesucht? Haben Sie eine Vorstellung, warum? Warum hielt er sich nicht immer an dieselben?«
    »Langeweile, schätze ich. Ein paar von den feinen Herren langweilen sich recht schnell.«
    »Hat er je eine Vorliebe für kleine Mädchen geäußert? Richtige Kinder?«
    »Was?« Die Verblüffung stand Phoebe ins Gesicht geschrieben. »Nich’ dass ich wüsste. Glaub ich eher nich’. Der is’ eher auf was Älteres aus. Auf Erfahrung. Fuchsteufelswild, wie gesagt, aber er konnte auch sehr freundlich sein. Er hat einen nie übers Ohr gehauen, und ich weiß von keiner, der er Angst gemacht hätte. Und wir erzählen uns immer gegenseitig, vor wem man sich in Acht nehmen muss. Wir müssen uns ja umeinander kümmern.«
    »Und Jungen?«
    »Was meinen Sie mit ›Jungen‹? Himmel!« Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Wollen Sie etwa sagen, er hätte was mit Jungs? Hol mich der Teufel, der doch nich’! Das is’ gegen das Gesetz! Obwohl … wer’s auf so was abgesehen hat, lässt sich davon bestimmt nich’ abschrecken. Aber er doch nich’!«
    »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich bin ich sicher! Himmelherrgott!«
    Hester bedankte sich und befragte noch einige andere Patientinnen. Mit etlichen Namen bewaffnet suchte sie danach alle möglichen Straßenecken auf, wo sie frühere Patientinnen antraf, die ihren Namen und Ruf kannten und gerne bereit waren, mit ihr zu sprechen.
    Die meisten hatten noch nie von Rupert gehört, aber diejenigen, denen er ein Begriff war, konnten Phoebes Erfahrungen bestätigen: lustig, ehrlich, manchmal freundlich, aber von zügellosem Jähzorn, für den er keine Verantwortung zu übernehmen schien. Sie trauten ihm unbedingt zu, dass er jemanden in der Raserei töten konnte, aber keine hatte auch nur das leiseste Gerücht gehört, er könnte an etwas anderem als an Frauen Geschmack finden: Er mochte sie lieber etwas gepolstert als dürr und ganz gewiss nicht kindlich. Er schätzte Gelächter, ein bisschen Esprit und auf jeden Fall gute Konversation. Alles Eigenschaften, die Hester widerstrebend in diesen Frauen wiedererkannte. Kurz, ihr blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu glauben.
    Müde, hungrig und mit wund gelaufenen Füßen kehrte sie spät am Abend heim. Sie hatte Unmengenen von neuen Informationen gesammelt, war sich aber nicht sicher, ob sie jetzt wirklich klüger war. Rupert hätte ohne Zweifel jemanden in einem Wutanfall töten können, ja, er hatte großes Glück gehabt, dass das noch nicht geschehen war. Doch je mehr sie über ihn erfuhr, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr, dass er einen Grund gehabt haben sollte, Mickey Parfitt zu töten. Lord Cardew hatte seine Schulden beglichen. Immer wieder hatte er Rupert vor den Konsequenzen seiner Maßlosigkeit gerettet. Hätte er da nicht auch Mickey Parfitt ausgezahlt?
    Oder hatte es einen Streit zwischen Rupert und Parfitt gegeben, der andere Gründe hatte als die Erpressung? Parfitt hatte seinen Unterhalt mit Pornografie und Erpressung bestritten; da hatte er doch bestimmt gewusst, wie stark er seine Opfer unter Druck setzen konnte, ehe er sie in die totale Verweiflung trieb. Und wäre er nach Jericho Phillips’ Tod nicht noch vorsichtiger gewesen und hätte im Zweifel eher zu Behutsamkeit statt zu Schonungslosigkeit geneigt? Schließlich verliert ein zum Mord oder in den Selbstmord getriebenes Erpressungsopfer seinen Nutzen.
    Monk war beim späten Abendessen schweigsam und in seine eigenen Gedanken versunken. Er erwähnte nur kurz, dass seine Ermittlungen zu den Geschäften auf dem Boot immer noch in vollem Gang waren und er weitere Zeugen suchte. In Ormes Beisein hatte die Leiterin des Findlingsheims mit den Jungen vom Boot gesprochen, doch die waren zu verängstigt und verwirrt gewesen, um irgendetwas Brauchbares zu sagen, sodass die Erzieherin das Verhör sehr schnell beendet hatte. Sie verstand durchaus, was auf dem Spiel stand, aber ihre Fürsorge galt zuallererst den Kindern in ihrer Obhut und nicht irgendwelchen zukünftigen Opfern. Mit bleichem Gesicht und einem Kind in den Armen hatte sie Orme aufgefordert zu gehen.
    Der Polizist hatte verstanden und das Haus schweigend, wenn auch zutiefst bekümmert, verlassen.
    Auch Hester sagte kein Wort, als sie den Tisch abräumte. Scuff blickte verunsichert von einem zum anderen, stellte jedoch keine Fragen und ging früh zu Bett.
    Am nächsten Morgen hatte Monk das Haus bereits verlassen, als Hester für sich und Scuff das Frühstück auftrug. Es gab Porridge, weil

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