Eines Abends in Paris
du, da sollte man ansetzen? So wie es jetzt aussieht, ist ja nicht mal sicher, dass Mélanie überhaupt aus der Bretagne zurückgekommen ist.«
Ich rückte mit dem Küchenstuhl näher an den Tisch heran.
»Nein, nein.« Robert machte eine unwillige Handbewegung. »Stecknadel im Heuhaufen. Willst du jetzt im Ernst nach Le Pouldu fahren und die Bewohner fragen, ob eine Mélanie bei einer Tante Lucette oder Lucie oder Laurence gewesen ist, von der man leider auch nicht den Nachnamen kennt?«
Ich schwieg enttäuscht. Irgendwie hatte ich gehofft, dass durch meine Auflistung möglicherweise neue Zusammenhänge sichtbar würden oder dass mein Freund auf einen entscheidenden Hinweis stieß.
»Die Freundin arbeitet in der Bar eines Grand Hotels«, versuchte ich es.
»Tja, wenn die Freundin einen Namen hätte, wäre das ein heißer Tipp«, sagte Robert.
»Tut mir leid. Ich weiß gar nicht mehr, ob Mélanie ihren Namen überhaupt erwähnte. Ich weiß nur, dass sie sagte, dass die Katze ihrer Freundin immer aus der Blumenvase trinkt.«
»Aha.« Robert zog eine Augenbraue hoch. »Weißt du denn wenigsten, wie die Katze heißt?« Er grinste. »Das wäre doch mal ein neuer Ansatz.«
»Ja, ja, Mr. Holmes, spotten Sie nur.« Ich überlegte kurz, ob ich den schwarzen Kater erwähnen sollte, den ich im Innenhof von Mélanies Haus in der Rue de Bourgogne gesehen hatte. Aber ich hatte keine Lust auf weitere Späße auf meine Kosten. Also ließ ich es bleiben. Die Rue de Bourgogne hatte sich sowieso als Sackgasse erwiesen.
»Hmm«, machte Robert wieder. »Der einzige brauchbare Hinweis, den ich hier sehe, ist die Sache mit dem Antiquitätenladen. Darüber könnte man was rausfinden.« Er sah mich an. »Hat sie erwähnt, wie der Laden heißt? Oder wo sie arbeitet? Zumindest in welchem Arrondissement?«
Ich schüttelte betrübt den Kopf.
»Vielleicht hat sie ja so was gesagt wie ›Ich arbeite hier ganz in der Nähe‹ – überleg mal!«
»Das hätte ich ja dann aufgeschrieben.«
»Und dieser Chef? Hat sie einen Namen genannt? Die meisten Antiquitätenläden werden ja unter dem Namen des Besitzers geführt.«
Ich nickte verzweifelt. »Ja, das hat sie. Ich weiß sogar noch, dass sie über ihren Chef sprach, als wir den Boulevard Raspail überquerten. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an den Namen erinnern.«
»Komm, Alain, nun überleg noch mal.« Robert sah mich beschwörend an. »Es fällt dir bestimmt wieder ein. Du musst nur wollen. Man kann jede Erinnerung abrufen.«
Ich schloss die Augen für einen Moment und versuchte mich auf den Boulevard Raspail zurückzubeamen. Ich wollte es, ich wollte es so sehr.
Ich habe einen netten Chef, hatte Mélanie gesagt. Aber er raucht viel zu viel. Jetzt liegt er mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Als wir ihn besucht haben, hat er als Erstes gewitzelt, dass er am meisten seine Zigarren vermisst. Monsieur – hier hatte sie den Namen genannt – ist so unvernünftig.
Monsieur … Monsieur … Ich strengte mich dermaßen an, dass ich das Gefühl hatte, gleich den Küchentisch zum Schweben zu bringen.
Ich machte die Augen wieder auf.
»Lapin«, sagte ich. »Er heißt Lapin.«
Es war ein Buchstabe, der mich von meinem Glück trennte, aber es war ein entscheidender.
Robert hatte sich wirklich ins Zeug gelegt.
»Lass mal, ich mach das für dich. Sieh zu, dass du ein bisschen Schlaf bekommst, du siehst schrecklich aus«, hatte er gesagt.
Und dann hatte er drei seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen drangesetzt, um diesen Monsieur Lapin und sein kleines Antiquitätengeschäft aufzutreiben. Die Studentinnen waren ganz reizend und ohne Zweifel hochmotiviert, ihrem Lieblingsprofessor einen besonderen Gefallen tun zu können. Doch nach mehreren Tagen emsigen Googelns und Telefonierens warfen die Damen das Handtuch. Es gab Hunderte von kleinen Antiquitätengeschäften in Paris, aber offenbar keinen Laden, der unter dem Namen Lapin geführt wurde oder eingetragen war.
»Entweder ist dieser zigarrenrauchende Lapin inzwischen in die ewigen Jagdgründe eingegangen und hat seinen Laden dichtgemacht oder wir sind auf der falschen Fährte«, sagte mein Freund. »Irgendetwas kann da nicht stimmen.«
Und damit hatte Robert ganz und gar recht. Die schlichte Tatsache, dass ich ein »P« mit einem »L« verwechselt hatte, ließ uns scheitern.
Ich war unruhig, nervös. Ich wollte es einfach nicht begreifen. Mein Mut war müde geworden, meine Laune schlecht. In den
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