Einfach Abschalten
die Jury berufen wurde, könnte es auch länger dauern.
Im Kleingedruckten lauerte noch ein weiterer Haken: In dem Gebäude waren weder Computer noch Handys erlaubt. Vor dem Hintergrund der Gedanken, die ich auf diesen Seiten dargelegt habe, hätte ich angesichts dieser höheren Weisung aus heiterem Himmel, den größten Teil des Tages ohne Netz zu sein, frohlocken müssen. Doch um ehrlich zu sein, tat ich es nicht. Ich hatte einen Haufen Arbeit zu erledigen, und für vieles davon brauchte ich einen Bildschirm mit Internetanschluss. So wie die Dinge liegen, habe ich nur fünf Internettage pro Woche zur Verfügung, und zu diesem Zeitpunkt wollte ich wirklich keinen einzigen davon aufgeben. Unsere Vernetztheit zu reduzieren war zwar fantastisch für unser Familienleben, und ich würde das nie wieder rückgängig machen wollen, aber gelegentlich ergibt sich daraus ein neues Dilemma. In diesem Fall war ich nicht nur frustriert darüber, dass ich während der Zeit als Geschworener nicht online sein konnte – es kotzte mich außerdem an, dass ich überhaupt so empfand. Als ich am Vorabend meines Termins bei Gericht im Bett lag und über all das nachdachte, merkte ich, dass ich schon wieder im digitalen Raum gefangen war, dessen Wände immer näher zu kommen schienen.
Als ich das Haus morgens um 4 Uhr 30 verließ, stand ein riesiger zunehmender Mond am Himmel. Als ich am Steuer saß und Musik hörte, entspannte ich mich und war allmählich besserer Stimmung. Ich hatte in dieser Angelegenheit schließlich sowieso keine Wahl, da konnte ich auch das Beste daraus machen. Der Verkehr war kein Problem, und ich kam recht zeitig in Boston an. Ich parkte in der Nähe des Gerichtsgebäudes und spazierte auf der Suche nach einem Frühstück zu Fuß in die City. Es gab noch wenige Lebenszeichen, bis mir, als ich den Post Office Square überquerte, ein paar Gestalten in Mänteln auffielen, die aus allen Richtungen an einem bestimmten Durchgang zur Milk Street zusammenkamen. Da dies Boston war, stellte sich natürlich heraus, dass es sich um einen Dunkin’ Donuts handelte. Es gab einen Zeitungsverkäufer davor, und als ich sah, dass die Gäste alle bei ihm kauften, tat ich das auch.
Ich nahm einen Doughnut und Kaffee, griff mir vor der Fensterfront einen Barhocker neben einer jungen Frau, die in den Boston Herald vertieft war, und schlug meine USA Today auf. Heutzutage kommt es einem eigenartig unzeitgemäß vor, eine gedruckte Zeitung zu lesen, und zwar in zweierlei recht unterschiedlicher Hinsicht. Auf der einen Seite ist es absurd, diese Blätter voller Druckerschwärze in den Händen zu halten und Worte zu entziffern, die eher aus Atomen als aus Bits geformt wurden. Ein Teil von einem fragt sich: Warum um alles in der Welt tue ich das? Nachrichten sollen neu sein, und eine gedruckte Zeitung ist schon längst veraltet, ehe man sie erhält. Am Bildschirm kann man in Sekunden um die ganze Welt jagen und sämtliche neuen Entwicklungen nahezu in Echtzeit mitverfolgen. Der emsige Betrieb auf Online-Nachrichtenseiten ist eines der größten Vergnügen dieser Zeit.
Auf der anderen Seite ist eine gedruckte Zeitung heute noch viel nützlicher als vor zwanzig Jahren. Wie ein Moleskine-Notizbuch ist es ein Offline-Medium, das einen aus der digitalen Wirbelei in einen ruhigeren, geduldigeren mentalen Zustand bringt. Sirrende Emsigkeit ist gut und wichtig, aber Zur-Ruhe-Kommen ebenso. Und so saß ich da, nur die Seiten und ich. Ich konnte sie in aller Ruhe und Gemächlichkeit durchblättern, bei allem innehalten, das mir ins Auge fiel, und mir die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was ich am Bildschirm selten tue. In dieser Hochgeschwindigkeitswelt ist eine gegenständlich existierende Zeitung ein Ruhepunkt fürs Bewusstsein. Sie erinnert einen außerdem daran, dass jede räumliche Umgebung, auch ein simpler Doughnut-Laden, zu einem Zufluchtsort werden kann, wenn man es richtig anstellt. Es machte nicht das Geringste, dass zu dieser frühen Stunde vom Handy in meiner Tasche noch keinerlei Lebenszeichen kam.
»Wir schaffen die Kommunikation ab«, lautete eine Schlagzeile auf der Meinungsseite. Die Kolumne war eine amüsante Schimpftirade gegen alles, was digital war; sie war von Bill Persky, einem achtundsiebzigjährigen Fernsehautor, Produzenten und Regisseur, der viel Zeit auf die neuesten Technologien verwandt hatte, einschließlich der sozialen Netzwerke. Das hatte ihm eine ganze Flut neuer Freunde eingebracht, die er nicht brauchte,
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