Einfach bezaubernd
du den Fluss, wie er sich dahinschlängelt? Und die Felsklippen dort? Siehst du die Zeichnung?«
Das war es, was sie malte. Die Ansichten ihres Lebens. Alle ihre optischen Eindrücke auf geometrische Muster und Farben reduziert, so schlicht wie möglich.
»Für diese Perspektive habe ich mich in einen Falken verwandelt. Dabei habe ich auch zwei Mäuse verspeist und eine Taube über drei Meilen gejagt. Und das dort, das in Violett und Grün? Das sind die Blumen auf Salem’s Mountain.«
Mit geneigtem Kopf versuchte er, in den einfachen Linien eine Blume zu erkennen.
»Um das so zu sehen, war ich ein Kolibri. Anstrengend. Diese kleinen Mistkerle hören nie auf zu streiten und zu kämpfen. Das Weiße da habe ich als Katze gesehen. Das ist eine Garagentür.« Titanweiß auf Grau und Ziegelrot mit einem oder zwei Pinselstrichen Krapprot, eine Komposition von Zerfall und vergangener Pracht. »Ich bin zwei Wochen lang durch die ganze Stadt gestreift, bis ich das gefunden hatte. Ich brauche immer ein Motiv, das mich innerlich berührt, und das passiert normalerweise nur, wenn ich verwandelt bin. Das da neben deinem Arm ist die Sonne, die an dem Metallrand von Linda Roses Abfalltonne reflektiert wird. An dem Tag war ich eine Ratte. Ratten sehen eine Menge. Und sie haben eine Vorliebe für Abfalltonnen.«
Und außerdem würde ich mich, wenn ich versuchen würde, mit dir zu schlafen, in deine Mutter verwandeln, und zwar schneller, als du Ödipus sagen kannst .
Er blieb vor jedem Bild stehen. Er ging die Stapel mit den Fingern durch wie Poster in einem Posterständer. Er blieb stumm. Dee wartete ab, blieb, wo sie war, die Hände ineinander verschlungen, und Furcht schnürte ihr plötzlich die Kehle zu. Sag doch etwas .
»Die sind wunderschön«, hauchte er, sich ihr zuwendend, mit den Händen eine alles umfassende Geste machend.
»Ich arbeite mit Acrylfarben. Die sind billiger und reiner in der Farbe, und sie trocknen schneller. Ich stehe schon vor Sonnenaufgang auf, damit ich schon verwandelt bin, bevor jemand auf der Straße ist und mich sehen könnte. Eigentlich bin ich nur selten dabei beobachtet worden; einmal war es zum Glück nur ein betrunkener Matrose auf dem Rückweg zu seinem Kahn. Viel harmloser als damals in Iowa, als ich mich über Lizzies Oberschuldirektor so aufregte, dass ich mich in seinem Büro
in einen Rottweiler verwandelte. Da sind wir zum zweiten Mal umgezogen. Das dritte Mal war, als Mare zum ersten Mal ihre Periode bekam, mitten in dem Chemielabor ihrer Schule. Alles fing an zu fliegen. Sie hat beinahe die Schule niedergebrannt. Na ja, eigentlich sind wir nicht deswegen umgezogen. Es war wegen Xan, die Mares neu entstehende Kräfte spürte und …«
»Dee«, sagte Danny sanft und ging auf sie zu. »Sei endlich mal still.«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern und brachte sie so zum Schweigen. Er blickte auf sie hinab, als hätte er ein Wunder entdeckt. Seine Augen schienen wie Teiche im Sonnenuntergang zu glühen. »Du zeigst diese Bilder niemandem, nicht wahr?« Es war mehr eine Feststellung.
»Natürlich nicht.«
»Warum nicht?«
»Sie sind rein persönlich.«
»Sie sind einzigartig. Du könntest berühmt werden.«
Dee verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Na klar. Es hat mir so viel Spaß gemacht, berühmt zu sein, dass ich meinen Namen geändert habe und quer durch das ganze Land umgezogen bin. Nein danke. Ich bin sehr zufrieden so.«
Ihr Herz war wieder in den Alarmzustand übergegangen. Sie zitterte. Er streichelte ihre Schulter, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, und es nahm ihr den Atem, weil es für sie so neu war. Ihre Schulter fühlte sich warm an, als hätten seine Finger diesen Schmetterling in einen flammenden Stern verwandelt. Sie war voller Sehnsucht. Es bedeutete ihr so viel – wusste er nicht, wie viel es ihr bedeutete?
»Du bist nicht glücklich«, stellte er fest. »Du lebst hier in einem Gefängnis. Du stirbst langsam und weißt es nicht einmal. Oh Gott.« Er schüttelte den Kopf voller Staunen. »Ich wusste, dass du etwas Besonderes bist, aber ich hatte keine Ahnung, wie sehr. Ich glaube, du hast selbst keine Ahnung.«
»Ich habe dir nicht deswegen das alles gezeigt«, protestierte Dee, die plötzlich vor Aussichten zurückschreckte, die sie nicht vorhergesehen hatte. Schön? Ihre Bilder waren schön? »Hast du mir denn nicht zugehört? Hast du nicht mitgekriegt, wie ich dazu kam, sie zu malen?«
»Es ist mir egal, ob du ein Affe in einem
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