Einfach bezaubernd
Luft. Sie nahm Mares Süßholzduft und einen Hauch von Lizzie – Gardenien und Rosen – wahr. Und dahinter einen neuen Duft. Ein Gemisch von Kräutern, das sie an etwas Altes und Mächtiges und Schönes denken ließ. Sie warf einen Blick in Richtung der Schlafzimmer. Und auch wenn sie nichts hören konnte, so fühlte sie es doch. Macht. Herrje, eigentlich müssten Wolken von violettem Rauch unter der Tür hervorquellen.
War Lizzie dort? Ging es ihr gut? War das etwa die Ausstrahlung dieses Elric, die sie wahrnahm?
»Es geht ihr gut«, meinte Danny.
Dee wandte sich zu ihm um. »Könntest du wenigstens abwarten, bis ich die Frage laut stelle?«
»Das hast du doch.«
»Nein, Danny, das habe ich nicht. Und woher weißt du überhaupt, dass es Lizzie gut geht? Sie hat gerade heute Morgen jemanden verloren. Diesen Kerl, den ich noch nicht mal kennen gelernt habe …«
»Ich höre es. Genau wie ich die Hexen höre. Das fühlt sich gut an. Hmmmm … Wirklich. Was immer sie gerade tut, sie genießt es.«
»Aha, na, vielen Dank, dass du mir gerade diese Vorstellung in den Kopf setzt.«
Lausbubenhaft grinste er sie an. »Du wolltest doch, dass ich daran glaube, wenn ich Dinge höre.«
»Ich will aber nicht hören, was du hörst. Nicht wenn’s um meine kleine Schwester geht.«
»Soweit ich sie gesehen habe, ist sie gar nicht so klein.«
Dee packte ihn und schob ihn zur Treppe hin. »Komm schon. Ich wollte dir mein Studio zeigen und nicht, dass du meine Schwester belauschst.«
Dees Studio teilte sich mit Mares Schlafzimmer den ersten Stock. Vierzehn Stufen hinauf und ein Stück am Treppengeländer entlang, so weit war es von der Außenwelt bis zu ihrem Reich, wo sie endlich die Kontrolle über alles hatte. Die Räume im Parterre waren ziemlich neutral gehalten, und selbst ihr eigenes Schlafzimmer hatte nichts besonders Persönliches. Blassgraue Wände, schwarze Samtdecke auf dem Bett und eine schlichte Frisierkommode. »Zen« lautete Lizzies Kommentar. Gleichgültigkeit war die wahre Erklärung. Wozu sollte es schon gut sein, einen Raum schmuckvoll zu gestalten, in dem nur uninteressante Dinge vor sich gingen? Dee behielt sich ihre Kreativität für ihr Studio vor.
Sie stieg die vierzehn Stufen hinauf und ging Danny voran. Sie knipste das Licht an und hielt die Luft an.
»Grundgütiger«, hauchte Danny und blieb wie erstarrt in der Tür stehen.
Dee blieb neben der weißen Kiste stehen, die sie zur Aufbewahrung nutzte. Dieser Raum war ihr Heiligtum, hier war ihre Seele zu Hause. Dieser Raum half ihr, den Verstand nicht zu verlieren, wenn Verantwortung und Einsamkeit sie schier erdrücken wollten. Es war der einzige Ort auf dieser Welt, an dem sie sich nicht wie eine pflichtbewusste Mutter fühlte.
Das Studio lag nach Süden. Ein Raum mit dunklem Parkettboden, abgeschrägter Decke und vielen Fenstern, gemütlich eingerichtet mit in Trödelläden erworbenen Schaukelstühlen, der Truhe ihrer Großmutter und zwei überladenen Arbeitstischen, die sie kobaltblau angestrichen hatte, genau die Farbe von Dannys Augen, wie sie feststellte. Auf den Fensterbänken standen vielfarbige Flaschen, um die Sonne einzufangen, und
auf jeder freien Fläche stand eine Vase oder eine Schüssel oder ein Topf mit Blumen aus dem Garten. Die Luft war schwer von ihren Düften. An der Wand, die den Fenstern gegenüberlag, stand ihre Staffelei, und glitzernde indische Saris in Purpurund Rot- und Orangetönen waren um die Fenster drapiert. Reiseplakate bedeckten die reinweißen Wände. Wien, Rom, Bali. Peru. Und natürlich Montmartre.
»Bist du wirklich nie an diesen Orten gewesen?«, fragte Danny erstaunt.
Dee betrachtete den byzantinischen Dom von Sacré Cœur. Sie wusste, wie viele Stufen man bis zu dieser Tür hinaufsteigen musste. »Eines Tages will ich dorthin.«
Er wandte sich ihr zu. »Ich werde mit dir dorthin reisen.«
Oh Gott, wie gern hätte sie einfach Ja gesagt. »Vielen Dank für das Angebot. Aber da gibt es einiges, was du vorher wissen musst.«
»Über deine Malerei offensichtlich.« Er ging zu einer Wand hinüber, an der verschiedene Leinwandgemälde gestapelt lehnten. Mit auf den Rücken gelegten Händen beugte er sich vor und betrachtete jedes Bild eingehend. Dee rieb sich die Hände an ihren Jeans und betete um innere Stärke.
»Weißt du, was das darstellt?«, fragte sie Danny, als er ein Gemälde betrachtete, das wie ein Flickenteppich aus verschiedenen Grün- und Goldtönen wirkte. »Das ist Salem Valley. Siehst
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