Einfach ein gutes Leben
einen sprechen alle Beispiele, die ich bis hierher präsentiert habe, eine andere Sprache; sogar die Mülltaucher werden nicht durch leere Bäuche getrieben. Zum anderen muss in unserer Gesellschaft tatsächlich kaum jemand langfristig Hunger leiden. Für den allergrößten Teil der Mitteleuropäer sind die alltäglichen Mahlzeiten gesichert. 26 Das immerhin hat die kapitalistische Marktwirtschaft geschafft: eine flächendeckende, allgemeine Bereitstellung von Lebensmittelbeschaffungsstellen, die wir Einzelhandel nennen.
Wenn Hunger und Durst nicht die einzigen Bedürfnisse sind, die von der Selbstversorgung gestillt werden, dann muss es darüber hinaus noch andere geben. Immerhin spielt derWunsch, Nahrung in Eigenproduktion herzustellen, offenbar eine tragende Rolle. Das jedenfalls unterstreicht Lisa Pfleger, wenn sie auf die Frage hin, welches Motiv bei ihr für die Gründung eines Hofes vorherrscht, ausruft: »Wie klasse wäre das, Verantwortung für das Grundlegendste – unsere Nahrung – zu übernehmen!« Welche Bedürfnisse kann man mit selbst produzierter Nahrung aber noch befriedigen?
Die Lust am Experiment, die Lisa und Michael meinen, wenn sie vom »Experiment Selbstversorgung« sprechen, scheint eine gute Spur zu sein. Die beiden wollen sich ausprobieren und auf verschiedenen Ebenen Neues lernen: angefangen mit den im weitesten Sinne technischen Fertigkeiten, die sich auch Vanella und Giann oder die Gemeinschaftsgärtner erst in der Praxis aneignen mussten, zum Beispiel das Wissen darüber, welche natürlichen Schädlingsbekämpfungsmittel am besten für ihre Pflanzen geeignet sind oder welche Standorte im Garten für welche Nutzungen am besten taugen. Sich ausprobieren heißt zweitens – und das ist hier vielleicht noch wichtiger –, sich selbst in einer neuen Rolle kennenlernen, in die man sich erst einfinden muss; sich autark zu machen in Dingen, von denen man existenziell abhängt, wenn man vorher ausschließlich in der Rolle des Konsumenten festgesteckt hat. Insofern sind hier die Mülltaucherinnen mitgemeint, weil auch sie sich in einem gewissen Sinne außerhalb der üblichen Verwertungsketten stellen. Sie verzichten ebenfalls teilweise auf geldvermittelten Konsum und schöpfen das ab, was der ökonomische Kreislauf als unprofitabel zurücklässt. Damit finden auch sie sich in einer neuen Versorgerrolle wieder, nämlich der des Verwerters aus dem Wert gefallener Güter.
Containern findet anders als Garten- oder Landbau nicht »in der Natur« statt, weshalb ein weiteres Motiv für die Selbstversorgung auf die Mülltaucher nicht zutreffen kann: das Motiv »Einklang mit der Natur«. In den durch Wachstumsphasen, Tag-Nacht-Zyklen, Jahreszeiten und so fort bestimmten Rhythmen der Nutzpflanzen und -tiere zu arbeiten gefällt vielen der neuen Selbstversorger. Sie erfahren sich als Teil der biologischen Zusammenhänge, in denen Pflanze, Tier und Mensch eingebunden sind. Das ist keine Frage des Geschmacks, sondern eine der Verbundenheit mit den materiellen Quellen, aus denen wir hervorgegangen sind. Davon, sie wieder geltend zu machen, hängt schließlich – davon können wir mittlerweile ausgehen – die Zukunft des Planeten ab. »Wir brauchen die Erfahrung der Zugehörigkeit zur natürlichen Mitwelt. Einstweilen benehmen wir uns gerade so, als wären wir Interplanetarier, die auf der Erde zugereist sind und jederzeit wieder abfliegen könnten. Wir müssen uns verwurzeln. Das ist auch das Grundthema des Prinzips der Nachhaltigkeit«, erläutert der Naturphilosoph Klaus Michael Meyer-Abich. Von der Erfahrung der Natur als Grundlage allen Lebens wären die Selbstversorger aber ausgeschlossen, wenn sie ihr Tagwerk ausschließlich nach Uhren und Kalendern ausrichteten.
»Zurück zur Natur« könnte das Argument auch für die Lebensmittel selbst heißen. Wir kennen schon fast keine Nahrung mehr, die nicht mit Pestiziden, Düngemitteln, Wachstumshormonen, Luftschadstoffen oder neuerdings technisch modifizierten Genen in Berührung gekommen ist. Gleichzeitig verändert sich die Qualität, was wir, sobald wir die Chance auf einen direkten Vergleich bekommen, schmecken oder sogar an unserer Gesundheit merken können. Den Selbstversorgern sind eigene Qualitätsstandards wichtig. Die Kontrolle darüber, was zum Beispiel in einer Kartoffelpflanze im Einzelnen enthalten ist, kann natürlich bei Pflanzen, die von offenen Feldern stammen, niemals eine 100-prozentige sein. Aber selbstverständlich kann ich die
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