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Einfach ein gutes Leben

Einfach ein gutes Leben

Titel: Einfach ein gutes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ploeger
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Milliarden Euro jährlich für Bananen, Bockwurst, Bauernsalat, die es gar nicht erst isst. Allein 500.000 Tonnen Brot werden pro Jahr weggeworfen, so viel, dass manche Bäckereien dazu übergegangen sind, ihre Öfen mit den Überschussschrippen zu heizen. Die Kosten tragen andere: der gerodete tropische Wald, das globale Klima, die afrikanischen Bauern, denen die Weizenpreise verdorben werden. 22 Da kann man schon ins Grübeln kommen, zumal wir das alles tagtäglich mit jedem ausgegebenen Cent unterstützen.
    Die Mülltaucher sind vielleicht tatsächlich die besseren Verbraucher. Sie selbst sind sich indessen darüber im Klaren, nicht etwa in moralisch sicherer Entfernung zum System zu stehen. Mülltaucher sind mitten drin. Was sie tun, soll auch gar kein Ausstieg sein.
    »Oft haben sie Arbeit, eine Wohnung im bürgerlichen Viertel und nicht selten ein festes Einkommen. Sie wühlen nicht im Abfall, weil sie arm sind, sondern weil sie gegen eine Konsumkultur protestieren wollen, die sich einen solchen Wegwerfwahn leistet.« 23
    Es geht ihnen nicht darum, ein anderes Lebensmodell zu entwerfen, eine Alternative zu Marktwirtschaft und ressourcenintensiver Lebensmittelindustrie. Es geht um einen stillen Protest an der Maßlosigkeit, die sich diese Gesellschaft leistet. Sicher versorgen sie sich in erster Linie mit Essen. Auf die Art, wie sie es tun, nutzen sie aber eine Nische, die das Verwertungssystem von Produktion und Handel offen lässt, und geben so mit jedem Brot, das sie aus dem Abfall ziehen, einen Kommentar zum System ab. Auf dem Parkplatz einer Lidl-Filiale mit Gummistiefeln gewappnet in einen Container voll Abfall zu springen wird bei ihnen mithin zu einem politischen Statement. Sie wollen auf ein gesellschaftliches Fehlverhalten aufmerksam machen, das Falk Beyer so zusammenfasst: »Die Verschwendung und die Vernichtung von Lebensmitteln, während gleichzeitig Menschen in aller Welt Hunger leiden und auch in Deutschland soziale Armut weiter vorherrscht.« 24 Leben aus dem Müll wird so im doppelten Sinn zu einem gut versorgten Leben: Nahrungsmittel sind im Überfluss da und gleichzeitig kann ich für die Gemeinschaft tätig sein, indem ich mit kritischen Kommentaren zu ihrer Verbesserung beitrage. So viel gutes Leben aus einer Abfalltonne? Wer hätte das gedacht!
Wir brauchen das ja auch
    Peter Huth im Oderbruch, Lisa und Michael in der Buckligen Welt, Giann und Vanella in Südtirol, die »Rosa Rose«-Gärtnerinnen in Berlin, Frank Beyer in Magdeburg – sie alle verzichten auf einen einfachen Gang zum Gemüsehändler um die Ecke oder zum Verbrauchermarkt in der Vorstadt und haben sich stattdessen Möglichkeiten gesucht, auf andere Art und Weise an ihr tägliches Brot zu gelangen. Sie alle haben es geschafft, das Geld mindestens partiell zu umgehen und einen Teil ihrer Nahrung mit den eigenen Händen herzustellen. Bei einigen ist es (noch) ein eher kleiner Teil, bei anderen steht er bei fast 100 Prozent. Warum aber tun sie das? Sie haben doch auch ohne den eigenen Acker alles, was sie brauchen,oder? Warum stellen sie sich nicht bequem in die Kassenschlange, warum müssen sie stattdessen sammeln, ackern, schuften, schwitzen?
    Not zumindest treibt sie nicht an. Auch wenn es auf den ersten Blick eine solche Anmutung haben mag: In Abfallcontainern zu wühlen ist kein sicheres Zeichen von Verwahrlosung und Armut. Im Gegenteil, die Zahl der Obdachlosen und Erwerbslosen in den Mülltauchergruppen ist verschwindend gering. 25 Mülltaucher würden auch ohne ihre unorthodoxe Art der Lebensmittelakquise gut über die Runden kommen. Not sitzt ebenso wenig den neuen Selbstversorgern, den (Teilzeit-)Bäuerinnen und Stadtgärtnern im Nacken. Die meisten sind ausreichend oder sogar gut versorgt. Die Selbstversorgung wäre, in haushälterischen Begriffen gedacht, allenfalls ein Zubrot zur Existenzsicherung. Als das Büro für Landschaftskommunikation die Ankündigung für die Sommerschule im Oderbruch formulierte, schrieben Kenneth Anders und sein Kollege hinein, die Leute würden aus Tradition, Lust oder Not die Selbstversorgung wählen und forderten damit unfreiwillig eine Reaktion heraus. »Den Notbegriff«, sagt Anders nach der Sommerschule, »den haben alle abgelehnt. Vor allem die Älteren und diejenigen, die es aus einer alten Tradition heraus machen.«
    Die Tradition, auf der anderen Seite, ist allerdings auch nicht der springende Punkt. Denn sicherlich sind noch viele Familien auf dem Land – im Oderbruch, in

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