Einfach ein gutes Leben
Südtirol oder anderswo – gewohnt, einen Teil ihres alltäglichen Bedarfes in Eigenproduktion herzustellen, und das seit Generationen, sodass man von Traditionen durchaus sprechen kann. Dennoch ist sich Anders nach seinen Erfahrungen sicher, dass die Tradition ohne einen bewussten Entschluss keine große Rolle spielen würde. »Es ist nicht so: Weil die Eltern das gemacht haben, macht man das auch, sondern es hat schon mit einem gewissen Anspruch zu tun, den die Leute aus dieser Tradition heraus an sich selbst stellen.« Schließlich haben sich (ob frische Zuzügler aus Berlin oder Langverwurzelte) vor ihren unterschiedlichen Hintergründen alle zur Subsistenz entschieden .
Warum also das Wagnis und die Widerstände auf sich nehmen? Tatsächlich hat der Entschluss zur Selbstversorgung ja durchgreifende Konsequenzen für die Lebensführung (das ist schließlich auch ihr Sinn). Man verlässt ein gewohntes, recht bequemes Leben und begibt sich in ein zunächst ungewisses neues. Dinge wie eine funktionierende Heizung oder eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, die man bisher nie missen musste, fehlen plötzlich und müssen ersetzt oder erst bereitgestellt werden, und das kann heißen: noch mehr Eigenarbeit. Ohne Anstrengung, auch beim Überwinden innerer Widerstände, geht das nicht.
Neben einem Haufen Arbeit müssen sich Selbstversorger auf die von Irritation zeugenden Reaktionen ihrer Mitmenschen gefasst machen. Vanella und Giann mussten erst lange Zeit die spöttischen Gesichter der eingesessenen Dorfbewohner ertragen, die ihre Höfe auf eine herkömmliche, marktorientierte Weise bewirtschaften und nicht wie die beiden Neuen nach ihrer Idee, »aus dem Geld« zu gehen. Das Kopfschütteln der Mitmenschen muss erst durch den Nachweis des Erfolgs beschwichtigt werden, dazu gehört ein gewisses Maß an Sturheit und Überzeugung.
Das Risiko, eben keinen Erfolg zu haben und zu scheitern, steht natürlich ständig im Raum. Wenn man einen kleinen Gemüsegarten angelegt hat, hält sich das Wagnis in Grenzen. Ein ganzer Hof mit all der Arbeit und den finanziellen Anfangsinvestitionen legt die Risikolatte ein gutes Stück höher. Sicherlich hat es also Sinn, nicht von vornherein seine Existenz vollständig auf Selbstversorgung zu bauen.
Schließlich drohen so manchem Stadtgärtner und Mülltaucher ernsthafte Konsequenzen vonseiten des Gesetzgebers und seiner Exekutive. Bauerwartungsland, das der Kommune oder einem Investor gehört, in Eigenregie zu vergärtnern, ist streng genommen nicht legaler als eine Hausbesetzung, auch wenn die Stadt im Einzelfall das eine oder andere Auge zudrücken mag. Und dass die Rechtsabteilung der Investoren sich nicht schrecken lässt von der schlichten Schönheit jahrelang sorgfältig gehegter Beete, versteht sich. In der Illegalität bewegen sich auch die Mülltaucher. Im Container oder im Regal: Alle Lebensmittel gehören dem Supermarkt, so lange, bis sie von einem Entsorger abgeholt werden. Und dann gehören sie dem Entsorgungsbetrieb. Vor dem Gesetz ist Containern, man kann es drehen und wenden, wie man will, Diebstahl.
Keine Not, keine Bindung an eine Tradition, kein bequemes Leben, stattdessen vermeidbare Härten und Risiken. Nach dieser Formel dürfte es eigentlich gar keine Selbstversorger geben. Dass diese Leute eigen sind und wagemutig, kann allein noch nicht erklären, warum sie tun, was sie tun. Scheinbar gibt ihnen die Selbstversorgung etwas, das sie ohne sie vermissen müssten, und das sie deshalb trotz aller Hindernisse und Einschränkungen zu erlangen versuchen. Wir müssen also fragen, welche Bedürfnisse hier eigentlich hochkochen. Was wollen, was brauchen die Selbstversorger?
Vordergründig geht es um Nahrung. Menschen sind keine besseren Säugetiere, insofern auch sie ständig Nachschub an Proteinen, Kohlenhydraten und Vitaminen benötigen, schlicht um am Leben zu bleiben. Der Hunger und Durst nach Lebensmitteln gehört also zu den basalen Grundbedürfnissen für uns alle. Ohne Nahrungsmittel geht alles andere auch nicht. Da sind wir wie die Tiere, meint auch Peter Huth: »Wir kommen ja daher und brauchen das ja auch. Da liegt die Basis: Wir brauchen alle erst mal sauberes Wasser und was zu essen, dann kann der Rest passieren.« Der Rest ist alles, was Menschen sonst noch tun: Einen Spaziergang machen, einem Kind die Windeln wechseln oder eine Konzerthalle bauen.
Demnach müsste es bei der Selbstversorgung zuvörderst um Hunger gehen. Das aber kann nicht sein. Zum
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