Einfach ein gutes Leben
Sinne sind sienicht vollständig autark. Dazu kommt die schiere Fülle an Dingen des alltäglichen Gebrauchs. Selbst der begabteste Tüftelfuchs und die fleißigste Strickliesel haben nicht die Schnittmuster für alles Mögliche im Kopf. So läuft es unter den entschlossensten Subsistenzpraktikern wie in der ganz normalen Marktwirtschaft auf eine Arbeitsteilung hinaus: Der eine macht das, die andere jenes, und wer mehr haben möchte, als er herstellen kann, muss zu den anderen gehen.
Zur Subsistenz gehört mithin eine Form der – terminologisch gesprochen – Distribution von Gütern. Die Güter müssen von dort, wo sie mit Überschuss hergestellt werden können, dahin, wo sie nachgefragt werden. Das gilt analog natürlich für Dienstleistungen. Natürlich könnten Subsistenzgüter und -dienstleistungen mit Geld erworben werden, ohne dass sie ihren Charakter als Subsistenzmittel verlieren. Die ältere Form der Distribution, die im Zusammenhang mit Subsistenzproduktion jedoch häufiger anzutreffen ist, ist der Tausch, also der Handel ohne ein zwischengeschaltetes Zahlungsmittel.
So simpel wie bei einem direkten Tausch von einer Tauschpartnerin zur anderen muss es jedoch nicht notwendigerweise ablaufen. Tauschen ist eine sehr alte Form der Ökonomie, die auch auf einem lokalen und regionalen Niveau seit Jahrtausenden gut funktioniert. Zum Teil wird der Tauschakt durch Währungen vermittelt, die – anders als Geld, das auch der Anhäufung von Kapital dienen kann – einzig diese eine Funktion erfüllen. Solche Formen lokaler Ökonomien erleben bei uns seit einiger Zeit wieder eine Renaissance. Der Tauschring »Zeitpunkt« in Bielefeld etwa ist einer von aktuell über 300 Tauschringen in Deutschland. Sein Währungsmodell steckt bereits im Namen. Alle Leistungen werden mit »Zeit-Punkten« vergütet, die dem Leistungsempfänger von seinem Punktekonto abgezogen werden. Dabei ist es gleich, woraus die Leistung besteht – eine Stunde Arbeit ist eine Stunde Arbeit, egal ob Kuchen backen, Begleitung beim Joggen, Hilfe am PC, Näharbeiten, Mitbenutzen von Bürogeräten, Möbelreparatur, Jonglage auf einem Kindergeburtstag, Bulli ausleihen, Tarotkarten legen, Radiomitschnitte auf CD brennen oder Doppelkopf spielen. Natürlich können auch Gegenstände getauscht werden, deren Wert dann nach einem bestimmten Schlüssel in Zeiteinheiten kalkuliert wird. Durch die prinzipielle Gleichsetzung mittels der Punktewährung erreicht der Tauschring insgesamt, dass höher qualifizierte Leistungen genauso viel wert sind wie niedriger qualifizierte.
Für den »Zeitpunkt«-Vorstand ist das ein programmatisches Ziel seines Tauschringes. Ihm geht es unter anderem darum, den vermeintlich einfachen Tätigkeiten ihren Wert zu geben, der Hausarbeit zum Beispiel, erklären Ulrike Urban und Luzie von Arnim. »Im Prinzip war das der Startpunkt der Tauschringe«, erinnert sich Urban. »Am Anfang war gar kein Mann dabei. Das war einmal eine Idee von Frauen, die gegenseitig auf ihre Kinder aufgepasst haben und so weiter.« Der Bielefelder Tauschring gehört zur Gründungswelle der deutschen Tauschringe, er wurde 1996 ins Leben gerufen und war einer der ersten, die die Vereinsform angenommen haben. Es ist kein Zufall, dass damals gerade Frauen sich für Tauschringe interessiert haben und dass die rund 100 Mitglieder nach wie vor überwiegend Frauen sind. Sie betrifft das Thema Subsistenz generell eher als Männer. Subsistenztätigkeiten, die größtenteils von Frauen erledigt werden, beispielsweise Haus-, Familien- oder Versorgungsarbeit, sind stets unterbewertet worden, wiewohl sie an der Basis aller Wertschöpfung liegen (siehe Kapitel 2). Wertet der Tauschring diese Tätigkeiten also wieder auf, versucht er letztlich, eine ökonomische Schräglage zu korrigieren.
Noch auf ein anderes, der herkömmlichen Ökonomie eigenes Ungleichgewicht hat »Zeitpunkt« ein Auge: Die Punktewährung verhindert eine Akkumulation von Währungseinheiten. Niemand kann sich durch Ansparen zu einem »Zeitpunkte-Kapitalisten« machen, da im System eine Umlaufsicherung eingebaut ist. Pro Monat werden jedem Mitglied fünf Punkte vom Konto genommen (ein negativer Zins quasi), sodass ein Anreiz besteht, die Zeiteinheiten möglichst bald »auszugeben«. 44 So wird verhindert, dass sich größere Ungleichheiten in der Verteilung des Punktevermögens einschleichen können. Soziale Gerechtigkeit ist ein weiteres erklärtes Ziel von »Zeitpunkt«.
Ein häufiges Missverständnis
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