Einfach ein gutes Leben
überlagert ist.« Quadflieg bedauert das, besonders weil er sieht, wie durchdringend die mit Arbeit verbundene Lebenshaltung vor allem hier in Deutschland geworden ist. Die Idee zu Otium hatte ihm und einer Kollegin Anfang der 90er-Jahre eine Arbeitslosenbewegung in Frankreich gebracht, die auch nach Deutschland übergriff. Während es in Frankreich allerdings um eine fundamentale Kritik an der Arbeit ging, dampfte der deutsche Arm der Bewegung das Thema auf den Ruf nach Arbeitsplätzen ein. Wo es den einen noch um ein Nachdenken darüber ging, ob eine totale Orientierung am Beruf sinnvoll ist, blieben die anderen voll im System und beklagten dessen lokale Ungerechtigkeiten.
Quadflieg vermutet, es sei vor allem die Angst, die seine Landsleute umtreibt: die Angst vor dem Jobverlust, davor, sein bequemes Leben nicht weiterführen zu können, vielleicht auch die Angst vor der leeren Zeit ohne Arbeit, mit der man ja irgendetwas anfangen müsste. Für Quadflieg ist die Furcht ein Beweis dafür, dass die Arbeit »so überbordend, alles bestimmend« geworden ist. In dieser krakenhaften Gestalt aber »ist sie nicht mehr befriedigend und produktiv, macht sie krank und unfrei«.
Otium dagegen macht frei für selbst gewählte Tätigkeiten, für persönliche Fortentwicklung. Es würde sich lohnen, dafür die Angst zu überwinden und einen großen Schritt zu wagen. Viel muss dafür aufgegeben werden, als Erstes der Glaube an ein gutes Leben im herkömmlichen Sinne von materiellem Wohlstand. Otium heißt, sich zu bescheiden, Zeit wichtiger zu nehmen als Konsum und in Geldwerten bemessenen Lebensstandard. »Muße finden ist eine Sache zwischen sich und seinen Menschen, der Umwelt, nicht des Hortens materieller Güter«, betont Quadflieg. Ähnlich wie Frauke Hehl unterstützt er eine Umwertung der verfügbaren Güter hin zum Immateriellen wie der Zeit oder zwischenmenschlichen Beziehungen.
»Otium – Initiative zur Rehabilitierung von Muße und Müßiggang« steht beispielhaft für eine in unserer Gesellschaft schwelende Frage, die Frage nämlich, welche Form das gute Leben heute einnehmen kann und welche Rolle die Arbeit darin spielen soll. Für Felix Quadflieg und seine Mitstreiter ist Muße die Antwort, die Rolle der Arbeit (qua Erwerbsarbeit) sehen sie vermindert. Die Gleichung Arbeit = Einkommen plus soziale Integration = Wohlstand = gutes Leben gilt für sie nicht länger. Das Mußeprinzip fordert die Arbeitsgesellschaft heraus und zielt dabei auf ihre Wurzeln. Susanne Beyer hat im Spiegel die Herausforderung in einer klugen Argumentation nachgezeichnet: Zuerst, so Beyer, ist Muße, da sie keinen Zwecken und Zielen folgt, weder messbar noch kontrollierbar (und schon deshalb etwas der Leistungsgesellschaft zutiefst Fremdes). Erwerbsarbeit auf der anderen Seite ist nun aber ihrerseits in einen Prozess geraten, in dem sie sich zu etwas Unmessbarem und Unkontrollierbarem wandelt: Laptop und Handy sind überall dabei, feste Arbeitsorte werden von den mobilen »Wissensarbeitern« immer weniger benötigt, ebenso wenig wie feste Arbeitszeiten. Freizeit und Arbeit verschwimmen zusehends. Wann ich arbeite und wann ich privat bin, ist immer schwerer zu sagen. Arbeit und Muße sind gleichermaßen unmessbar. Einen Unterschied gibt es dennoch: Muße macht zufriedener. Sie lässt sich also wenigstens an dem Glück ablesen, das sie den Menschen beschert. »Warum sollte dann aber das Leistungsprinzip so viel bedeutsamer für die Gesellschaft sein als das andere, ebenso wenig zu kontrollierende Prinzip der Muße«, fragt Beyer schließlich. 78 Ja, warum eigentlich? Muße bringt uns näher an unsere Fähigkeiten heran, lässt uns mehr sowohl von unseren ureigenen Kompetenzen als auch von unseren Bedürfnissen bemerken. Sie öffnet uns Chancen der vertieften Welterkenntnis. Und sie leitet uns zu einem guten Leben, indem sie uns überhaupt spüren lässt, was für uns gut ist und was nicht. Muße verschafft uns damit in vielfacher Hinsicht ein Mehr, das wir in der Erwerbsarbeit nicht finden, ein Mehr, das wir für ein wirklich gutes Leben benötigen.
Die Zeit scheint reif dafür, Muße wieder in ihrer grundhumanen Funktion kennenzulernen. Felix Quadflieg, seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben damit bereits begonnen. Sie haben ihre Sehnsucht richtig gedeutet und üben sich nun darin, andere Formen des Tätigseins zu finden, die nichts mit Nützlichkeit, Zwecken, Jobs zu tun haben.
Regelmäßig organisiert Otium Lesungen. Dann kann,
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